Kalter Weihrauch - Roman
dieser knollennasige Italiener, auf den die Frauen so abfuhren. Er musste grinsen, der Whiskey stieg ihm offenbar bereits in den Kopf.
»Mögen Sie Paolo Conte nicht?«
»Doch, doch, ich liebe ihn.« Das war eindeutig zu dick aufgetragen, sie zwinkerte ihm amüsiert zu. »Ich kann gern etwas anderes auflegen!«
»Nein, nein, Paolo Conte ist ganz wunderbar.«
»Na gut. Jetzt müssen Sie aber meine Terrasse bewundern.«
Sie schob die schweren cremefarbenen Vorhänge zurück, öffnete die Glastür, und sie traten hinaus in die kalte Luft. Die Salzach glitzerte im Licht der Straßenlaternen vom gegenüberliegenden Ufer, die Bergrücken dahinter lagen da wie Ungeheuer auf dem Sprung. Beinahe hätte er spontan den Arm um ihre Schulter gelegt, im letzten Moment pfiff er sich zurück. Sie trug nur einen schwarzen Pullover, den Umhang hatte sie schon beim Aufsperren einfach von den Schultern gleiten lassen.
»Schön, nicht wahr?« Sie sah ihn an. Er nickte. »Und kalt. Sie haben zu wenig an, wir sollten wieder hineingehen.« Sie lächelte. »Das ist noch schöner.« Er sah sie fragend an, sie lächelte zurück. »Dass Sie so fürsorglich sind.«
Sie gingen wieder ins Zimmer, das mehr einem schummrigen Saal glich, mit all den Farben und Lichtern, die über die Wände tanzten. Henriette Gleinegg schloss die Tür und zog die Vorhänge zu. Die Welt blieb draußen. Und sie beide standen hier und hatten keine Lust auf Spielchen. Dafür waren sie zu erwachsen. Zu alt. Und zu müde.
»Artur, nicht wahr?«, sagte Henriette Gleinegg. Ihre Stimme klang gar nicht mehr amüsiert, sondern fast so schüchtern wie die eines jungen Mädchens. Er nickte.
»Möchtest du auch den oberen Stock sehen?«
Er stellte das Glas ab, sie griff nach seiner Hand, und dicht nebeneinander gingen sie zu der Treppe, die sich wie ein Schneckengehäuse unters Dach hinaufwand. Er folgte ihr über die Stufen, es wurde immer dunkler.
»Ich mache kein Licht«, sagte Henriette Gleinegg.
Es war ihm nur recht.
*
Und endlich war es Mittwochnachmittag. Sie standen auf der kleinen Lichtung gleich neben der Bundesstraße, wo im Sommer die Hütte aufgebaut war, bei der man den knusprigsten Steckerlfisch im ganzen Seenland bekam. Jetzt war es einfach ein matschiges Stück Land, an dem die Kolonnen vorbeifuhren. Schräg gegenüber blinkten die Lichter der Tankstelle, es herrschte das übliche geschäftige Treiben. Vermummte Gestalten hasteten von den Zapfsäulen hinein in die Helligkeit des Shops und des Cafés, der Ricardo Hallwang machte wieder einmal ein gutes Geschäft. Noch dazu, wo jetzt so viele kamen, die sich mit wohligem Gruseln an der letzten Arbeitsstätte dieser ermordeten jungen Frau umsehen wollten. Jetzt, nachdem der erste Schreck vorüber war und der Klatsch und der Tratsch wieder einsetzten. Diese Suse, die hatte es doch faustdick hinter den Ohren gehabt. Eine ganz ausg’schamte Person war das gewesen, vor der kein Ehemann sicher gewesen war. Genauso wie diese Marion. So redeten die Leute, der Krinzinger hatte es ihnen ehrlich entrüstet berichtet. Das Madl ist nicht einmal noch unter der Erd, schon werfen’s mit Dreck auf sie! Der Krinzinger hatte auch schon mehr Freude an seiner Arbeit gehabt.
Ein Lastwagen donnerte vorbei, dann herrschte für ein paar Augenblicke beinahe Stille. Leo knackte mit den Fingerknöcheln, Pestallozzi sah zur Tankstelle hinüber. Nur einer würde dort ganz bestimmt nicht anhalten, heute nicht und nie wieder. Der würde auf die Fahrbahn starren, ohne nach links oder rechts zu blicken. Aber das Grauen würde ihm im Nacken sitzen. Und dann würde er den noblen Luisenhof betreten müssen und seine Mutter auf beide Wangen küssen und den frischen Mohnstrudel hinunterwürgen. Plaudern und lächeln und wieder nach Hause fahren. Plaudern und lächeln. In seiner Kanzlei die Kunden empfangen. Mit der Tochter telefonieren. Und in zwei Wochen wieder über diese Straße fahren. Manches Mal, dachte Pestallozzi, war das ganz normale Leben bestimmt die ärgste Strafe. Der Alltag, den man weiterführen musste nach einer Tat, mit der man die äußerste Grenze überschritten hatte. Wenn man wusste, wozu man fähig war. Und trotzdem musste man …
»Wie lang braucht denn der«, motzte Leo. Der Steinfeldt war vor einer dreiviertel Stunde in Anif losgefahren, das hatten die Kollegen durchgegeben. Da konnte er natürlich noch nicht hier sein, schon gar nicht bei diesem Wetter. Außerdem pflegte Dr. Johannes Steinfeldt ganz bestimmt
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