Kalter Weihrauch - Roman
Weihnachtsmarkt.
»Darf ich Sie vielleicht auf einen Ingwerpunsch einladen?«, fragte er steif.
Sie grinste und nickte. Na endlich, das war ja eine schwere Geburt, so ein Flirt mit diesem Pestallozzi. Er konnte das nur zu deutlich in ihren Augen lesen. Die übrigens wie damals tiefdunkelgrau umrandet waren. Und eine durchsichtige Bluse hatte sie getragen, und 100 schmale Goldreifen hatten an ihren Armgelenken geklingelt. In seinen Ohren war noch immer so ein Klingeln. Sie bahnten sich einen Weg durch die Menge, er versuchte, den Kavalier zu spielen und sie vor den ärgsten Remplern zu beschützen, aber es war ein sinnloses Unterfangen. Endlich standen sie vor einer der Holzhütten, eingekeilt zwischen Menschen, aus deren Mündern Schnapsfahnen quollen. Er bestellte zwei Ingwerpunsch und balancierte sie über die Köpfe hinweg, dann standen sie sich gegenüber. Sie ließen die Henkelbecher aneinander klirren, nur ganz sachte, dann tranken sie beide. Der Punsch brannte durch seine Kehle in seinen Magen hinab, er begann augenblicklich zu schwitzen. Klaro, er hatte ja heute noch nichts gegessen außer einem vertrockneten Croissant in der Früh. Wunderbar, gleich würde er zu lallen beginnen. Ein Schmalzbrot mit viel Zwiebeln drauf wäre jetzt die Rettung gewesen, aber das konnte er der Frau, die ihm so knapp gegenüberstand, nicht antun. Auch wenn sie sich sowieso in den nächsten Minuten voneinander verabschieden würden, eine Henriette Gleinegg musste ganz bestimmt zu einem Wohltätigkeitspunsch oder ins Konzert oder zu sonst einem Abendessen mit ihren hochnoblen Freunden.
»Ein Schmalzbrot mit Zwiebeln wäre jetzt nicht schlecht. Was meinen Sie, Herr Chefinspektor?« Sie grinste ihn an, er grinste zurück, so hocherfreut und ertappt, dass sie beide lachen mussten wie Schulkinder. »Na dann, bin gleich zurück!«
Er boxte sich zum nächsten Standl durch, wo es Langos und Pommes und Schmalzbrote gab, eroberte zwei davon und kehrte damit zurück wie ein Kreuzritter aus dem Morgenland. Sie stürzten sich beide auf seine Beute, Schmalz ließ ihre Lippen glänzen, Zwiebelringe mussten mit den Fingern nachgestopft werden. »Entschuldigung«, mümmelte Henriette Gleinegg mit vollem Mund, »aber ich habe seit dem Vormittag nichts mehr gegessen. Ich war halb am Verhungern! Schmeckt fantastisch, finden Sie nicht?«
Er konnte nur nicken. Allerdings, so wunderbar hatte es ihm schon lang nicht mehr geschmeckt. Irgendetwas musste sein mit diesem Schmalzbrot, eine ganz besondere Rezeptur. Allerdings, der viele Zwiebel … Und wenn sie sich von ihm vielleicht erwartete, dass er sie zum Abschied küssen würde? Nur ganz dezent natürlich auf die Wangen. Aber vor Weihnachten schien das allgemein üblich zu sein, selbst zwischen Fremden, und diese Henriette Gleinegg war bestimmt keine von den Zimperlichen! Verdammt, hätte er sich nur ein Liptauerbrot bestellt.
»Na, am Grübeln?«
»Oh, nein, Verzeihung! Ganz bestimmt nicht in Ihrer Gegenwart!«
Und jetzt, worüber sollte er jetzt Konversation machen?
»Wie geht es Ihnen denn eigentlich? Und Ihrem Bruder? Hat er sich schon erholt?«
Ihr Gesicht verdüsterte sich sofort, verdammt. Was für indiskretes Zeug er da aber auch daher schwätzte. Er würde sich möglichst bald aus dem Staub machen, das war ihr sicher nur recht.
»Die Familie lassen wir besser außen vor«, sagte Henriette Gleinegg. »Es geht übrigens allen gut, danke der Nachfrage. Aber heute Abend möchte ich an nichts denken. Nur genießen.« Es sollte wohl kokett klingen, aber es kam ziemlich traurig rüber. Er berührte ihren Arm, einfach so, er war über sich selbst erstaunt. »Dann wollen wir das in die Tat umsetzen«, sagte Pestallozzi. Sie sah ihn an, der Spott war aus ihren Augen verschwunden.
Wie schön der Schnee doch fiel und alles zudeckte. Nur ein paar Schritte hinter den Buden am Dom wurde die Welt leise und bedächtig, selbst die Touristen setzten ihre Schritte vorsichtig in die weiße Decke über dem Asphalt. Flocken tanzten vom Himmel und deckten alles zu, Verbotsschilder und den Müll der Stadt, mögliche Spuren, die einer hinterließ. Aber es war ihm egal, wenigstens in dieser klirrend kalten Stunde. Aus einer fernen Ecke wurde der Gesang von Kinderstimmen zu ihnen herübergeweht, sie konnten die kleinen Künstler, die bestimmt für einen guten Zweck unterwegs waren, nicht sehen, aber sie lächelten beide. Henriette Gleinegg hatte noch kein Wort gesagt, seitdem sie den Lärm vom
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