Kalter Weihrauch - Roman
ist eine Katastrophe, dachte Pestallozzi. Jeder Fußabdruck ist längst zugeweht, die von der Spurensicherung werden ordentlich fluchen. Er versuchte, exakt in die Stapfen von Krinzinger zu treten, das war das Mindeste, was er tun konnte. Und dann waren sie neben der alten Fichte angelangt. Gmoser stand da und salutierte, Pestallozzi nickte zurück. Stille umfing die drei Männer. Krinzinger lief der Rotz aus der Nase, er wischte ihn mit dem Handrücken fort. Pestallozzi machte einen vorsichtigen Schritt nach vorn und beugte sich über die Tote. Ihr Gesicht erinnerte ihn an … an ein Bild? An diese mexikanische Malerin, genau, wie hatte sie bloß geheißen. Kahlo, Frieda Kahlo. Mit ihren schwarzen Augenbrauen und ihrer dunklen Haut. Oder nein, sie erinnerte an eine Ikone. An die Madonnen, die auf russischen Heiligenbildern prangten. Seltsam. Tot war sie und dennoch schien sie unversehrt, nur ihr Kopftuch war verrutscht. Dieses Kopftuch und das lange weiße Gewand dazu …
»Sie ist so jung«, sagte Pestallozzi langsam. »Ich bin mir nicht sicher, ob sie eine Nonne ist. Vielleicht eine Novizin? Hier gibt es doch ein Frauenkloster in der Nähe, oder?«
»Genau, Richtung Mondsee«, sagte Gmoser schnell, auch wenn er wusste, dass er damit Krinzinger zuvorkam und ihn brüskierte. Aber er wollte einfach seine eigene Stimme hören, nachdem er fast eine Stunde lang mutterseelenallein im Mondlicht neben der Toten gestanden war. Davon würde er noch lang träumen.
»Gibt es eine Abgängigkeitsanzeige?«
Gmoser hielt jetzt lieber den Mund, Krinzinger schüttelte den Kopf. Dann wurde ihm bewusst, dass Pestallozzi ihnen ja den Rücken zuwandte.
»Bis jetzt jedenfalls noch nicht. Die leben dort ganz für sich, von denen hört und sieht man nichts. Außer im Klosterladen, da gibt’s Honig und Kerzen zum Kaufen.«
Pestallozzi nickte, aber er wandte den Blick nicht ab. Was ist dir nur zugestoßen, dachte er und war erstaunt, wie leicht ihm diese Zwiesprache fiel. Er bemühte sich doch immer um Distanz zu den Opfern. Aber diese junge Frau … du bist einen langen Weg gekommen, du bist nicht von hier. Aber wir werden herausfinden, was geschehen ist, versprochen. Pestallozzi holte tief Luft. Warum war er plötzlich so verbittert? Weil er selbst vor vielen Jahren in einen Klosterkindergarten hatte gehen müssen? Und nicht daran zurückdenken konnte, ohne dass Übelkeit über ihn kam? Aber so eine persönliche Betroffenheit durfte ihm einfach nicht in die Quere kommen, das konnte er sich nicht durchgehen lassen. Er richtete sich wieder auf und wandte sich den beiden Beamten zu.
»Ist die Spurensicherung schon unterwegs?«
Krinzinger nickte eifrig. »Ich hab gleich angerufen, wie, wie …« Er hielt inne, das Duwort machte ihm doch noch ordentlich Schwierigkeiten. Vor einem Jahr war es ganz leicht gewesen, als sie den Fall Gleinegg zu einem Abschluss gebracht hatten und zusammengesessen waren bei heißem Tee und sogar einem Schnaps. Aber jetzt? Andererseits, der Chefinspektor war wirklich ein anständiger Kerl, nicht so ein arroganter Pimpf wie manche Kollegen, die einem auf den Seminaren über den Weg liefen. Krinzinger setzte neuerlich an: »… wie du es mir gesagt hast. Und dann habe ich auch noch die Gerichtsmedizin informiert. Die haben gesagt, dass sie die Frau Doktor Kleinschmidt schicken.«
»Sehr gut. Dann können wir hier im Augenblick nicht mehr tun. Außer natürlich das Gelände absichern, so gut wie möglich. Wie lang wird der Rummel da draußen noch gehen?«
Krinzinger sah wenig glücklich drein. »Normalerweise sollte um neun Uhr Schluss sein. Aber wir drücken halt immer ein Auge zu. Von den Punschständen sind die Leut ja kaum wegzukriegen. Und die Unsrigen sind froh, wenn sie ein Geschäft machen. Das ist schon wichtig für den Ort.«
»Kommen auch Händler von auswärts?«
»Ein paar. Aber das Meiste machen die Frauen bei uns da in der Gegend. Marmeladen und Socken und solche Sachen halt. Und der Lois stellt immer seine Schnitzereien aus, die gehen weg wie die warmen Semmeln.«
Pestallozzi nickte. »Na gut, dann werden der Leo und ich einmal zu diesem Kloster schauen. Wo ist das genau?«
»Auf der Bundesstraße Richtung Mondsee, so ungefähr 20 Minuten. Auf der rechten Seite.«
Sie stapften zurück, Gmoser musste weiter Wache halten. Leo sah ihnen erwartungsvoll entgegen. »Die von der Spurensicherung kämpfen sich gerade durch. Und die Lisa ist auch schon unterwegs.«
»Ich weiß. Wir zwei
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