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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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fahren jetzt zum Frauenkloster Richtung Mondsee. Friedl, du leitest hier den Einsatz. Wir sehen uns dann spätestens morgen wieder. Alsdann!«
    Krinzinger salutierte, Leo wollte den Weg hinauf zur Hauptschule einschlagen, aber Pestallozzi hielt ihn zurück. »Komm, wir drehen noch eine Runde zwischen den Stan- deln. Ich möchte mir anschauen, wie es da so zugeht.«
    Der Schnee fiel immer dichter, die Flocken schienen wässriger geworden zu sein. Erste Pfützen bildeten sich zwischen den Ständen. Sie bogen auf die Hauptstraße ein, die vom Musikpavillon zum Kirchenplatz führte, zwei große schlaksige Männer, die wie Fremdkörper zwischen all den Familien und händchenhaltenden Paaren wirkten. Kinder bissen in rote Äpfel, die klebrig von Zuckerglasur waren, es roch nach frischgeschlägerten Nadelbäumen und nach offenen Feuerstellen, die meisten Erwachsenen hielten dampfende Henkelbecher in den behandschuhten Händen. Vor der Kirche hatte sich ein Kreis von Schaulustigen gebildet, in der Mitte standen drei Männer in Lederhosen und gestrickten Kniestrümpfen und bliesen mit aller Kraft in meterlange Alphörner, es klang ein wenig nach Schiffsuntergang. Pestallozzi und Leo blieben stehen und blickten über die Köpfe hinweg. Weihnachtsstimmung wie aus dem Bilderbuch, wie aus einer Hansi-Hinterseer-Show. Aber auch ohne die tote junge Frau im Wald würde ich mich nicht wirklich freuen können, dachte Pestallozzi, als er in die lächelnden Gesichter rundum blickte. Weil mir immer noch eine Geschichte hinter dem schönen Schein einfällt. Und hier ist es auch nicht anders. Vor ein paar Jahren war eine Familie aus Wien mit ihren zwei Buben extra zum Adventmarkt am See angereist. Die Kinder waren an der Bundesstraße entlanggelaufen, ein Autofahrer war zu schnell gefahren und hatte sie erwischt. Einer der Buben war sofort gestorben, der andere war schwer verletzt auf der Fahrbahn liegen geblieben. Und der Autofahrer war einfach weitergefahren und hatte dann eilig seinen Wagen im Heuschober versteckt. Nach tagelangen Ermittlungen hatten ihn die Kollegen endlich aufgespürt. Der Lenker war zu drei Monaten Haft verurteilt worden, aber das war ihm und seinem Anwalt noch immer zu viel gewesen. Schließlich war das Urteil zu 720 Euro Geldstrafe herabgemildert worden. 720 Euro Strafe für ein sterbendes Kind, das einer einfach hatte liegen lassen. Aber tollpatschige Bankräuber, die mit einer Schreckpistole herumfuchtelten und ohne Beute davonliefen, bekamen gnadenlos fünf Jahre Haft und mehr aufgebrummt. So war das. Er hatte selbst keine Kinder, aber er mochte sich nicht vorstellen, was in ihm vorgegangen wäre nach so einem Schandurteil. Das noch dazu eine Frau gefällt hatte. Was ist bloß los in diesem Land, dachte Pestallozzi. In meinem Land. Und wieso macht es mir so zu schaffen? Werde ich vielleicht doch depressiv? Oder einfach nur alt?
    Ein Ellbogen bohrte sich gegen seine Rippen, Leo neben ihm wippte ungeduldig auf und ab. Pestallozzi nickte dem Jüngeren zu, und sie drängten sich wieder durch die Menge. Gleich neben der Kirche war ganz eindeutig der beliebteste Punschstand vom ganzen Markt aufgebaut, wo sich das obere Dutzend der Gemeinden am See drängte. Die Männer trugen teure Lodenmäntel, Brokatdirndln blitzten unter den Umhängen der Frauen hervor. Eine hübsche Blondine stand hinter den Kesseln und schäkerte und lachte. Sie gingen vorüber, die Unterhaltung der gutgelaunten Runde perlte ohne die kleinste Pause weiter, und dennoch konnte Pestallozzi die Blicke in seinem Rücken spüren. Die da standen waren einflussreich genug, um bestimmt schon Bescheid zu wissen über den Fund im Wald. Aber keiner würde sich hervordrängen und mit Fragen auf sich aufmerksam machen. Eine tote junge Frau – Schlimmeres konnte einer Gemeinde, die vom Fremdenverkehr lebte, nicht widerfahren. Und alle Ehefrauen würden einen Herzschlag lang ihre Männer prüfend ansehen und inständig hoffen, dass sie alles, nun ja, wenigstens fast alles von ihnen wussten. Aber es ist doch eine Nonne, dachte Pestallozzi. Oder eine Novizin, wie auch immer. Er kannte ja noch nicht einmal ihren Namen. Sie stapften zurück durch den Schnee zur Hauptschule hinauf, der Skoda war von glitzernden Eiskristallen überzogen. In seinem Inneren war es so kalt wie in einem Grab. Ob ich mir wenigstens die nassen Socken ausziehen soll, dachte Leo. Meine Füße sind ja wie Eisklumpen.
    »Soll ich fahren?«, fragte Pestallozzi. Aber Leo schüttelte nur

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