Kalter Zwilling
Vorwarnung lockerte er seinen Griff und der Bucklige taumelte benommen zur Seite.
»Hier entlang, mein Freund!« Bastian ließ Gilig passieren und blieb ihm dicht auf den Fersen. Pfarrer Johannes folgte ihnen. Sie liefen durch die Vollmondnacht in Richtung Norden, denn das Lager des Schmiedes befand sich am Krötschenturm, der nordwestlichsten Ecke von Zons.
»Öffnet die Pforte!« Bastians Tonfall ließ keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit. Der Bucklige fummelte nervös in seiner Hose herum und zog schließlich mit zitternden Fingern einen Schlüssel hervor. Dann ging er auf den Holzverschlag zu und öffnete die Tür auf der linken Seite. Bastian stockte. Das also hatte er die ganze Zeit im Hinterkopf gehabt. Das Lager hatte zwei Türen. Hinter der kleinen, unscheinbaren Öffnung hätte Bastian niemals etwas vermutet. Er schob Gilig beiseite und betrat den Verschlag. Der Raum war so niedrig, dass Bastian sich ducken musste. Gilig holte eine Kerze hervor und zündete sie an. Der flackernde Lichtschein tanzte auf den kahlen Wänden und huschte über den Lehmboden. Der Bucklige senkte abrupt das Haupt, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Pfarrer Johannes bekreuzigte sich. Bastian holte tief Luft und schüttelte ungläubig den Kopf.
Das Lager war leer.
...
Tränen standen in den Augen des jungen Mannes, der vor einer hageren Gestalt mit einem Dolch in der Hand kniete. Trotzig reckte Jakob Honrath, der Sohn des ermordeten Schmiedes, das Kinn in die Höhe und zerrte an den Fesseln, die seine Hände auf dem Rücken zusammenhielten. Eine Faust landete in seinem Gesicht und Bluttropfen rannen aus der aufgesprungenen Lippe über sein Kinn.
»Es fehlt ein halber Sack Goldgulden. Wo hat Euer Vater ihn versteckt?«
Wütend zischte Jakob: »Hättet Ihr ihm nicht das Leben genommen, könnte er Euch jetzt eine Antwort geben!«
Ein erneuter Fausthieb traf Jakobs Nase. Der Knochen knirschte und Blut spritzte durch den Raum.
»Wo ist das Gold?«
Jakob schwieg. Erneut sauste die Faust auf ihn nieder.
»Sagt mir, wo die Gulden sind oder Ihr folgt Eurem Vater in die Hölle!«
»Ich weiß es nicht! Aber ich werde Bastian Mühlenberg von der Münzfälschung berichten. Darauf steht die Todesstrafe.«
Diesmal traf ihn ein Tritt in den Unterleib. Jakob Honrath krümmte sich vor Schmerzen.
»Ihr meint den großen Blonden von der Stadtwache?«
Jakob nickte.
»Der hat vor ein paar Tagen auf unserem Schiff herumgeschnüffelt.« Die Stimme kam aus dem Hintergrund.
»Ich weiß«, zischte der hagere Mann. Er hatte bereits versucht, den großen Blondschopf von der Stadtwache aus dem Weg zu räumen, war ihm dafür extra einen halben Tagesritt bis ins Kloster Brauweiler gefolgt. Doch der Bursche hatte wohl einen Schutzengel bei sich gehabt. Der für ihn bestimmte Giftpfeil war im Hals eines dicken Mönchs gelandet, weil Bastian sich im entscheidenden Moment zufällig gebückt hatte.
Der hagere Mann schüttelte wütend den Kopf. Nur um ein Haar war er Bastian Mühlenberg entkommen! Der Bursche war flink wie ein Wiesel und hatte es geschafft, ihm im letzten Augenblick die Kutte vom Leib zu reißen. Um Mühlenberg würde er sich noch kümmern müssen, aber erst einmal musste er das Problem mit dem aufsässigen Sohn des Schmiedes regeln. Zum Münzmeister taugte er nicht und er hatte offensichtlich auch keine Ahnung, wohin das Gold verschwunden war. Wenn er schon seine Gulden nicht wiederbekam, würde er sich von Jakob nicht in Schwierigkeiten bringen lassen. Auch er selbst war nur ein Glied in einer langen Kette aus Verschwörungen und sein Leben hing davon ab, die Goldgulden zu liefern und die Mitwisser zum Schweigen zu bringen.
»Könnt Ihr schreiben?« Jakob verneinte.
Der hagere Mann riss seinen Kopf nach hinten und griff mit einem groben Leinentuch tief in den Hals des jungen Mannes. Dieser wehrte sich mit aller Kraft und stieß in Panik unverständliche, kaum mehr menschliche Laute aus. Der hagere Mann zückte seinen Dolch und schnitt ihm brutal die Zunge aus dem Hals. Der würde nicht mehr reden! Schon gar nicht mit Bastian Mühlenberg.
»Schafft ihn hier raus, bevor ich es mir anders überlege und ihm auch noch die Kehle durchschneide!«
...
Bastian starrte immer noch ungläubig in das leere Lager. Der bucklige Gilig wollte ihn tatsächlich an der Nase herumführen. Am liebsten hätte er Gilig sofort in den Juddeturm geworfen. Nur die Anwesenheit von Pfarrer Johannes hielt ihn
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