Kaltes Blut
genug.«
»Ist es sein neuer Job?«
»Glaub schon. Er will unbedingt die große Karriere machen, und ich weiß gar nicht mal, wofür er mich überhaupt noch braucht. Und da ich sehr gut alleine leben kann, fällt mir dieser Schritt nicht schwer.«
»Liebst du ihn denn noch?«
»Keine Ahnung. Er ist nett, aber das reicht nicht, um jemanden zu lieben. Anfangs hat er mich noch des Öfteren über Handy angerufen, einfach so, weißt du, aber das macht er schon seit mindestens einem halben Jahr nicht mehr. Dafür wasche ich seine Wäsche, putze und spiel auch ab und zu seine Geliebte … Und das reicht mir einfach nicht.«
»Du musst wissen, was du tust. Du willst doch jetzt hoffentlich keinen Rat von mir?«
»Nein, mir war nur danach, es dir zu sagen. Du bist der Erste.«
»Kann ich mit Nadine darüber sprechen?«
»Ob du’s kannst, weiß ich nicht, aber du darfst«, antwortete sie grinsend.
»Sie wird ziemlich geschockt sein.«
»So geschockt wie die Eltern von Selina, als sie vom Tod ihrer Tochter erfahren haben?«, fragte sie sarkastisch.
»Mann o Mann, du hast manchmal eine Art drauf«, sagte er kopfschüttelnd. »Warum erzählst du’s mir eigentlich ausgerechnet jetzt?«
»Wie gesagt, mir war einfach danach. Der Tag war schon beschissen genug, und ich dachte mir, ich lass dich ein bisschen an meinem Scheißleben teilhaben.«
»Oh, wie gnädig! Und wann wirst du es ihm sagen?«
»Heute, vorausgesetzt, ich bekomme ihn überhaupt zu Gesicht.«
Sie langten am Präsidium an, fuhren auf den Hof und fanden noch einen freien Parkplatz. Hellmer nahm die in Selinas Zimmer gefundenen Hefte und Ringordner mit und schloss den Wagen ab. Kullmer und Seidel waren auch erst vor kurzem eingetroffen. Sie unterhielten sich mit Berger, als die Kommissare das Büro betraten.
»Hi, da sind wir. Einsatz vorläufig beendet.« Julia Durant hängte ihre Tasche über den Stuhl und zündete sich eine Zigarette an.
»Auch hi«, sagte Kullmer und sah Durant forschend an. »Schlechte Laune?«
»Nee, ist bloß der Mond. Der hat heute so ’ne seltsame Energie«, entgegnete sie bissig.
Berger sagte erst mal nichts, Hellmer stand an den Türrahmen gelehnt und rauchte schweigend eine Zigarette, Doris Seidel enthielt sich ebenfalls eines Kommentars. Als die Stille zu still wurde, fragte Berger mit einem Augenzwinkern: »Bekomme ich wenigstens einen klitzekleinen Bericht?«
Hellmer grinste, genau wie Kullmer und Seidel, nur Durant blieb ernst, auch wenn es ihr schwer fiel, sich das Grinsen zu verkneifen. Aber sie hatte einen schlechten Tag und wollte, dass jeder das auch mitbekam. Ihre Art von Selbstmitleid, das sie gerne zur Schau stellte, schon seit sie ein junges Mädchen war.
»Sicher«, begann Hellmer. »Selina Kautz wurde tot aufgefunden, Todeszeitpunkt ungefähr zwischen Mitternacht und den frühen Morgenstunden, mehr erfahren wir gegen sieben. Zahlreiche Messerstiche in den Oberkörper, sie war ziemlich ausgeblutet. Außerdem hat der- oder diejenige sich große Mühe gegeben, sie ordentlich zu verpacken, nicht ohne sie vorher gründlich zu waschen und zu desinfizieren, doch die Fotos haben Sie ja schon, wie ich sehe. Kein schöner Anblick, vor allem in natura. Wir haben aber aus ihrem Zimmer alle auffindbaren Schulhefte mitgebracht, von denen sie wenigstens eines als Tagebuch benutzt hat. Selina hatte offensichtlich seit knapp drei Monaten ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann. Der Name des unbekannten Liebhabers taucht jedoch nicht auf. Das Seltsame ist aber, dass weder ihre Eltern noch eine ihrer besten Freundinnen, eine gewisse Nathalie Weishaupt, anscheinend auch nur das Geringste bemerkt haben, ich meine, keiner scheint gewusst zu haben, dass Selina einen Liebhaber hatte. Wir kamen leider nicht mehr dazu, auch noch die beiden andern Freundinnen in Okriftel zu befragen, allerdingswerden die uns mit größter Wahrscheinlichkeit auch nichts anderes sagen können. Wir sollten trotzdem sämtliche Hefte durchgehen, vielleicht findet sich ja doch ein Name, den wir mit einem verheirateten Mann in Verbindung bringen können. Wobei natürlich noch längst nicht gesagt ist, dass dieser Liebhaber auch der Mörder ist. Doch zuallererst sollten wir diese Spur verfolgen. So weit der Kurzbericht. Hab ich was vergessen?« Er schaute Julia Durant an, die mit den Gedanken weit weg zu sein schien, vielleicht bei Kuhn, dachte Hellmer.
»Wie viele Hefte sind es denn?«, fragte Berger.
»Etwa dreißig, dazu ein paar Ringordner,
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