Kaltes Blut
Notizhefte, eine ganze Menge auf jeden Fall. Wir haben zwar über die Hälfte schon überflogen, aber nicht Seite für Seite gelesen, das hätte viel zu lange gedauert. Deshalb werden wir uns jetzt alle gemeinsam über diese Hefte hermachen und sie sehr genau durchgehen. Sie machen doch auch mit, Chef, oder?«
Berger stand auf, holte sich einen Kaffee und stellte die Tasse rechts neben sich. »Dann mal her damit. Wir suchen also ganz konkret nach Einträgen, die nichts mit der Schule zu tun haben, und nach einem Namen?«
»Genau.«
»Wie haben’s eigentlich die Eltern aufgenommen?«
»Wie schon«, antwortete Hellmer. »Sie müssten doch am besten wissen, wie Eltern reagieren, wenn sie erfahren, dass ihr Kind ermordet wurde. Die Mutter wollte sie sehen, wir konnten es ihr zum Glück ausreden. Ich muss übrigens noch schnell Bock anrufen, er soll die Kleine so herrichten, dass die Eltern sie wenigstens vor der Beerdigung noch einmal sehen können. Ihr Gesicht ist Gott sei Dank völlig unversehrt, er soll aber auch versuchen, sie ein bisschen ordentlicher zuzunähen als üblich.«
»Sie meinen, statt mit sechs oder sieben Stichen mit neun oder zehn?«, erwiderte Berger mit dem ihm eigenen Humor. »Sagen Sie ihm, er soll sich vorstellen, er würde eine geplatzte Hosennaht nähen. Er wird’s schon verstehen.«
Hellmer griff zum Telefon und rief bei Bock an. Er zeigte sich verständnisvoll und meinte, er gebe das vorläufige Ergebnis in etwa einer Stunde durch. Er sagte noch etwas, Hellmer stellte ihm eine Frage dazu, doch Bock gab nur eine knappe Antwort und legte auf.
»Komisch.« Hellmer hielt den Hörer noch einen Moment in der Hand. »Bock meint, wir sollen uns auf eine Überraschung gefasst machen. Er wollte aber nicht verraten, was er herausgefunden hat.«
»Das ist typisch für ihn«, sagte Berger, »unser lieber Bock. Und jetzt an die Arbeit.«
Freitag, 18.45 Uhr
Sie hatten wie so oft den Pizzaservice kommen lassen und aßen, während sie die Hefte studierten. Das Telefon klingelte, Berger sah Hellmer an und gab ihm ein Zeichen, dass er drangehen sollte. Er hob ab und stellte den Lautsprecher an, damit alle mithören konnten.
»Hellmer.«
»Bock hier. Also, die wesentlichen Untersuchungen sind abgeschlossen, ein paar muss ich aber noch durchführen. Selina Kautz, wohnhaft in Hattersheim, fünfzehn Jahre alt …«
»Diese Angaben haben wir doch bereits«, sagte Hellmer leicht ungehalten. »Wenn Sie vielleicht zum Wesentlichen kommen könnten.«
»Nicht so ungeduldig, ich bin doch schon dabei. Todeszeitpunkt zwischen Mitternacht und ein Uhr. Sie war zum Zeitpunkt ihres Ablebens kerngesund, keinerlei Anzeichen für Medikamentenoder Drogenmissbrauch, ebenfalls kein Alkohol feststellbar. Sehr gute körperliche Konstitution. Sie wurde jedoch vor ihrem Tod betäubt, ich habe einen entsprechenden Einstich am linken Arm festgestellt, außerdem gibt es leichte Druckstellen an ihren Hand- undFußgelenken, aber auch auf der Stirn und an den Schläfen, es scheint, als hätte man sie fixiert, und sie hat versucht sich loszureißen. Da die Druckstellen aber ziemlich breit sind, gehe ich davon aus, dass es sich um Leder- oder Stoffgurte handelte. Außerdem habe ich insgesamt siebenundsiebzig Einstiche gezählt, davon allein sieben direkt ins Herz. Sämtliche Einstiche erfolgten im Brust- und oberen Bauchbereich.« Er hielt inne, Hellmer wurde immer ungeduldiger.
»Und weiter, das war doch nicht alles, oder?«
»Na ja, sie hatte offensichtlich auch eine Binde über den Augen, ich konnte ein paar Faserspuren ausmachen, obwohl der Täter versucht hat, sie so gründlich wie möglich zu waschen. Und über dem Mund hatte sie ein Klebeband. In ihrem Körper habe ich eine sehr hohe Konzentration eines Beruhigungsmittels gefunden, das zwar normalerweise nur beruhigt, in der verabreichten Dosierung aber schon zur Bewusstlosigkeit führen kann. Das heißt, sie hat aller Wahrscheinlichkeit nach die meiste Zeit zumindest in einem Dämmerzustand, wenn nicht gar in einer Bewusstlosigkeit verbracht. Daher scheint sie nichts oder zumindest nicht viel mitbekommen zu haben.«
»Wurde sie sexuell missbraucht?«
»Es gibt keine eindeutigen Hinweise dafür. Sie hatte zwar Geschlechtsverkehr, doch der hat etwa einen Tag vor ihrem Tod stattgefunden. Sexuellen Missbrauch in Form von gewaltsamem Eindringen in den Vaginal- oder Analbereich konnte ich nicht feststellen, was aber nicht zwangsläufig heißt, dass sich der Täter nicht an
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