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Kaltes Blut

Kaltes Blut

Titel: Kaltes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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nach elf bei mir an. Sie ist wie immer durch die Hintertür gekommen, weil sie nicht gesehen werden wollte, was ja wohl verständlich ist.«
    »Selina war vorgestern Nacht bei Ihnen?«
    »Ja, sie war bei mir. Das heißt, sie war in der Wohnung über der Praxis. Ich habe alle zwölf bis vierzehn Tage Notdienst, und diese Zeiten haben wir in den letzten zweieinhalb Monaten regelmäßig genutzt. Sie hat ihren Eltern gesagt, sie würde bei einer Freundin übernachten, in Wirklichkeit war sie bei mir. Und ich brauchteauch nicht zu befürchten, dass meine Frau auftaucht. Das wäre das Letzte gewesen, was sie getan hätte. Bis gestern zumindest.«
    »Haben Sie etwas mit Selinas Tod zu tun?«
    »Nein, nein, nein! Herr Hellmer, es hört sich für Sie wahrscheinlich abstrus an, nein, es hört sich abstrus an, aber ich hatte in jener Nacht einen Anruf von einem Mann, der mich bat, in die Goethestraße zu kommen, angeblich wegen einer Gallenkolik. Ich habe ihn gefragt, ob er nicht in die Praxis kommen könne, aber er hat gemeint, er habe kein Auto und solche Schmerzen, dass er das Haus nicht verlassen könne. Also bin ich zu der angegebenen Adresse gefahren. Es ist eines dieser Hochhäuser beim real-Markt. Ich bin fast eine Viertelstunde lang sämtliche Klingelschilder aller Hauseingänge durchgegangen, aber der angegebene Name stand auf keinem.«
    »Passiert so etwas öfters? Ich meine, dass Sie …«
    »Nein, ich habe es bisher noch nicht erlebt. Ich bin unverrichteter Dinge wieder zurückgefahren, aber Selina war nicht mehr da. Auch ihr Fahrrad war weg. Ich habe gedacht, sie wäre vielleicht nach Hause gefahren, und dann hat mir meine Frau gestern mitgeteilt, dass sie vermisst wird. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt habe und immer noch fühle.«
    »Mit welchem Namen hat sich der Anrufer denn gemeldet?«
    »Koslowski, Werner Koslowski, Goethestraße 10. Ich habe zuerst gedacht, ich hätte mich in der Hausnummer geirrt, deshalb habe ich alle andern Häuser auch noch abgesucht, aber Fehlanzeige.«
    »Wie lange waren Sie weg?«
    »Etwa vierzig Minuten. Der Anruf kam ziemlich genau um halb zwei. Ich bin fünf Minuten später losgefahren. Selina hat noch gesagt, ich solle mich beeilen. Zurückgekommen bin ich gegen Viertel nach zwei …«
    »Und da haben Sie festgestellt, dass Selina nicht mehr in der Wohnung war?«
    »Ja.«
    »War in Ihrer Wohnung oder in der Praxis irgendetwas verändert? Fehlen Unterlagen, Medikamente oder sonst etwas? Oder gibt es Einbruchspuren?«
    »Weder noch. Der Medikamentenschrank war abgeschlossen, und auch sonst fehlt nichts.«
    »Und Sie haben keinen Verdacht geschöpft? Ich meine, erst sagt sie, Sie sollen sich beeilen, doch als Sie zurückkommen, ist sie plötzlich nicht mehr da.«
    »Verdacht!« Er lachte kehlig auf. »Es sah doch alles so aus, als ob Selina gegangen wäre. Das Licht in der Wohnung war aus, die Tür war zu, ihr Fahrrad war weg. Glauben Sie vielleicht, ich denke da gleich an ein Verbrechen?«
    »Ihnen ist aber klar, dass Sie unter Mordverdacht stehen?«
    »Ich habe sie nicht umgebracht!«, beteuerte er. »Mein Gott, Selina war ein Engel. Herr Hellmer, Sie und ich, wir kennen uns jetzt seit fast drei Jahren.«
    »Dr. Gerber, ich bin Ihr Patient, aber ich weiß so gut wie nichts über Sie.«
    »Entschuldigen Sie, Sie haben natürlich Recht. Aber trauen Sie mir wirklich zu, so etwas Schreckliches getan zu haben? Trauen Sie mir das wirklich zu?«
    »Ich kann Ihnen darauf keine Antwort geben. Ich weiß nur, dass es Fakten gibt, die im Moment fast alle gegen Sie sprechen.«
    »Aber da war doch dieser Anruf, der muss sich doch irgendwie nachvollziehen lassen!«, entgegnete Gerber verzweifelt. »Hören Sie, ich habe große Schuld auf mich geladen, und ich hätte auf meine innere Stimme hören sollen, die mir gesagt hat, ich solle die Finger von Selina lassen. Aber wie heißt es doch so schön, der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Wie schwach habe ich erst gemerkt, als das mit Selina passierte.«
    »Wir werden diesen Anruf nachprüfen. Sollte er allerdings von einer Telefonzelle aus geführt worden sein, lässt sich der Teilnehmer natürlich nicht ermitteln.«
    Gerber schloss die Augen. Tränen. Er nahm ein Taschentuch,putzte sich die Nase und sah Hellmer entschuldigend an. »Man hat mich aus dem Haus gelockt«, sagte er mit einem Mal. »Gestern Abend, als meine Frau mir erzählte, dass Selina vermisst wird, habe ich gespürt, dass etwas Schreckliches mit

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