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Kaltes Fieber - Ein Lucas-Davenport-Roman

Kaltes Fieber - Ein Lucas-Davenport-Roman

Titel: Kaltes Fieber - Ein Lucas-Davenport-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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da rauskommen, werfe ich sie in den verdammten Fluss. Ich bin nämlich stocksauer.«
    Weitere gedämpfte Grunzlaute aus dem Loch, weiteres Füßescharren, und dann zog Jenkins, immer noch bedächtig und langsam, den ersten Schuh von Wests Füßen. Darunter kam eine Socke zum Vorschein, schwarz und faltig und nass von Schweiß oder Flusswasser. Der Fußknöchel war fast so schwarz wie die Socke. Jenkins vermied es tunlichst, mit einem von beiden in Berührung zu kommen.
    »So, das ist der erste Schuh«, schrie er ins Loch. »Ich behalte ihn erst mal noch hier, bis ich auch den zweiten habe. Dann werfe ich beide in den verdammten Fluss, ich schwöre es bei Gott!«

    Er nahm sich wieder Zeit, den zweiten Schuh aufzuknoten, und plötzlich bewegte sich eines von Wests Beinen ein paar Zentimeter nach außen, dann das zweite, und dann das erste wieder ein paar weitere Zentimeter. Jemand sagte: »Er kommt raus«, und tatsächlich, West schob sich unter gedämpften Protestrufen aus dem Loch. Er zerrte einen Plastikmüllbeutel hinter sich her und hatte Tränen in den Augen. »Nehmen Sie mir nicht die Schuhe weg, Mann«, sagte er mit zitternder Stimme zu Jenkins. »Lassen Sie mir meine Schuhe.«
    »Ich lasse Ihnen doch Ihre Schuhe, natürlich«, sagte Jenkins. Er richtete sich auf und nahm die Marlboro-Schachtel aus der Tasche. »Wollen Sie eine rauchen?«
     
    West war ein körperliches Wrack. Er war klein und so dünn, dass man fast von Auszehrung sprechen konnte. Sein Gesicht war verschmutzt, sowohl von altem als auch neuem Dreck, und seine Wangenknochen standen hervor wie die Ecken einer Axt, wirkten unnatürlich, als seien sie das Ergebnis einer misslungenen Schönheitsoperation. Sein Haar, rundum zehn Zentimeter lang, sah aus, als sei es mit einer Heckenschere gekürzt worden, und es stand in verschmutzten braunen Klumpen vom Kopf ab. Seine blauen Augen waren angstvoll aufgerissen. Er trug ein offenes, langärmliges Flanellhemd, eine North-Face-Nylonhose und ein beschriftetes T-Shirt, auf dem als Logo ein Ausschnitt aus dem Weltraum dargestellt war: ein kleiner schwarzer Kreis mit der Inschrift URANUS und darunter ein viel größerer Kreis mit der Inschrift URANUS IM GEFÄNGNIS.
    »Ich habe nichts Böses getan«, sagte er zu Jenkins.
    »Reden Sie mit dem Mann da«, sagte Jenkins und deutete mit dem Daumen auf Lucas.
    »Wir meinen ja gar nicht, dass Sie was angestellt haben«, erklärte Lucas. »Wir wollen zunächst nur, dass Sie unter die
Dusche gehen, bei McDonald’s oder sonstwo was essen und vielleicht ihre Kleidung gewaschen kriegen, und dann wollen wir mit Ihnen reden.«
    West umklammerte mit den Armen seinen Müllbeutel: »Worüber reden?«
     
    West war durchaus willens, mit ihnen zu reden, soweit seine Erinnerung es zuließ. Er gehörte zur Legion der Verlorenen, ein Schizophrener, der nicht in der Lage war, seinen Zustand zu erkennen oder die Medikamente zu seiner Behandlung zu akzeptieren. Als Lucas und Sloan mit ihm sprachen, kam es immer wieder vor, dass er plötzlich abwesend vor sich hin starrte, sich wand und drehte und unverständliche Dinge murmelte. Er habe einen Onkel, sagte er, der ihn immer wieder zwicken würde. Ganz fest. »Ich weiß, dass er nicht wirklich da ist«, erklärte er Lucas, »aber ich spür’s, wie er mich kneift. Es tut weh. Ein widerlicher Kerl …«
     
    West war gelegentlich in Obdachlosenheimen in St. Paul untergeschlüpft. Sie brachten ihn jetzt zu einem solchen Heim in Minneapolis und stellten ihn als Erstes unter die Dusche. Sandy, seine Freundin, hatte in einer Kleiderkammer der Sozialhilfe saubere Kleidung für ihn besorgt, und sie wartete vor dem Obdachlosenheim, bis West sie sich angezogen hatte. Er betrachtete sich im Spiegel - Jockey-Hose, weißes T-Shirt, kariertes Hemd, ausgebleichte Jeans. »Ich seh echt komisch aus«, sagte er mit einem unglücklichen Grinsen.
    »Ach was, Sie sehen prima aus«, erwiderte Lucas. Wests Geist trat für einen Moment weg, und er murmelte einer unsichtbaren Person etwas zu, zuckte dann zusammen und sagte: »Au!« Lucas legte ihm die Hand auf die Schulter: »Sie sehen wirklich gut aus.«
    Wests Geist fand zurück in die Realität. »Was?«

    »Und Sie riechen verdammt viel besser«, fügte Del hinzu.
    »Ich verpasse meine Schicht bei McDonald’s«, sagte West. »Und in dieser Kleidung gibt mir niemand auch nur’nen Cent.«
    »Ich gebe Ihnen ein paar Dollar«, sagte Lucas. »Falls Sie vernünftig sind und uns helfen.«
    »Ein paar Dollar?

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