Kaltes Fieber - Ein Lucas-Davenport-Roman
war auf sein Geld aus gewesen. Die Attacke hatte in der Nacht stattgefunden, unter einer Landungsbrücke in Santa Monica; der Angreifer war mit einer fünzehn Zentimeter langen Messerklinge im Hals gestorben.
Aber diese Angst hatte ihn in den Krallen … Die Götter unten im Flur sagten, das sei ganz normal, aber es bereite das höchste Lustgefühl, diesen Angstzustand zu durchbrechen. Wenn man selbst die Kontrolle übernahm, schwand die Angst, und man hatte seinen Frieden, sagten sie.
Bei Charlie war das nicht ganz der Fall gewesen. Der Mord an ihm war eher aus geschäftlichen Gründen erfolgt,
um das vorzubereiten, was nun folgen sollte. Aber im Verlauf des Geschehens war da so ein Prickeln aufgetreten, ein flüchtiges Vergnügen. Allerdings nicht intensiv genug. Er strebte etwas Komplexeres an, etwas, das versprach, ihm ein weitaus tieferes Lustgefühl zu verschaffen.
Als er fertig war, schaltete er das Licht aus, ging nach draußen, öffnete den Kofferraum des Wagens, nahm einen alten Zeltsack heraus, trat dann zurück, setzte sich auf die Wohnwagentreppe und horchte. Horchte auf das leise Summen der Käfer, das Brummen einer Moskitofalle irgendwo in der Nähe, die Geräusche eines Fernsehgeräts in einem anderen Wohnwagen, das dumpfe Dröhnen einer Klimaanlage. Als er sicher sein konnte, dass niemand in der Nähe war und man ihn nicht sehen würde, ging er in den Wohnwagen, umklammerte den Gürtel der Leiche, zerrte sie durch die Tür, die Stufen hinunter, wuchtete sie in den Kofferraum.
Der Killer war ein kräftiger Mann, aber die Leiche war schwer und schlaff, und er musste sich anstrengen, um sie in den Kofferraum zu heben. Die Leiche landete mit einem dumpfen Laut und einem Klirren auf der zusammengerollten schweren Eisenkette. Der Killer schloss den Kofferraum und ging zurück in den Wohnwagen, nahm den bereitgelegten Zeltsack mit.
Er stopfte Charlies persönliche Besitztümer in den Sack. Charlie war noch nicht lange aus dem Knast, hatte kaum Geld verdient, und so gab es nicht viel einzustecken: Rasierzeug und Deodorant, eine billige Uhr, Jeans, T-Shirts und Unterwäsche. Auf dem Rückweg bemerkte er in der Küchenzeile einen dünnen braunen Streifen auf dem Boden. Eingetrocknetes Blut? Woher stammte es? Er überprüfte sich selbst. Nirgends Blutspuren. Vielleicht waren beim Raustransport der Leiche ein paar Spritzer auf den Boden getropft …
Er holte eine Hand voll Toilettenpapier aus dem Bad, machte es unter dem Wasserhahn feucht, wischte damit
über den braunen Streifen, sah sich das Ergebnis an: Selbst aufgelöst in der Feuchtigkeit blieb die Farbe braun. Wahrscheinlich Sauce oder so was, dachte er. Jedenfalls kein Blut. Er warf den feuchten Papierklumpen in den Zeltsack, nahm den Plastikbeutel mit dem amputierten Finger an sich, machte das Licht aus und ging zum Wagen. Den Zeltsack warf er auf die Rückbank, den Plastikbeutel schob er unter den Beifahrersitz.
Fertig. Aber er blieb noch sitzen, ging alles noch einmal durch, und als er den linken Daumen unter den rechten Gummihandschuh schob, um ihn abzustreifen, zuckte das Wort Fußfessel durch seinen Kopf.
Großer Gott, er hatte die elektronische Fußfessel vergessen! Panik erfasste ihn, und er sprang aus dem Wagen. Verdammt, wie konnte er nur die Fußfessel vergessen! Er öffnete wieder den Kofferraum, nahm den kleinen Bolzenschneider aus der Nabe des Ersatzrades, fummelte im Dunkeln an Charlies Füßen herum, bis er die Fessel am rechten Knöchel ertastete, und trennte sie durch.
Er trug die Fessel zwischen Daumen und Zeigefinger in den Wohnwagen und ließ sie vor der Couch auf den Boden fallen, wo sie gelandet wäre, wenn Charlie sie auf der Couch sitzend durchtrennt hätte.
Noch etwas? Die Panik zerrte immer noch an ihm, und er ging seine mentale Liste der zu erledigenden Dinge noch einmal durch. Er hatte das vor der Tat hundertmal gemacht, vielleicht sogar tausendmal, und nun, im kritischen Augenblick, vergaß er die Fußfessel!
Aber er hatte alles erledigt. Er ging zum Wagen, stieg ein, drehte den Zündschlüssel, ließ die Fenster heruntergleiten, horchte wieder in die Nacht. Als er so sicher wie möglich sein konnte, dass niemand in der Nähe war, fuhr er los, zur Interstate 35.
Auf dem Highway brachte ein plötzlicher kalter Adrenalinstoß
seine Hände am Lenkrad zum Zittern. O Gott, er hätte niemals die Fußfessel vergessen dürfen … Die Aufregung des Mordes hatte etwas Negatives in seinem Gehirn ausgelöst, hatte dazu
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