Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
wüsste, wer den Cognac geklaut hat, gäbe es vielleicht einen Anhaltspunkt.
Gismo war vorsichtshalber auf den Boden gehüpft, saß jetzt auf einigen Tageszeitungen und blickte misstrauisch zu mir herauf. Ich war heute noch nicht dazu gekommen, einen Blick in die Zeitungen zu werfen. Man hatte mich in der Redaktion gebeten nachzuprüfen, was ein Gelegenheitsmitarbeiter geliefert hatte: Henrik Nordenthal, Hauptdarsteller in diversen Ärzteserien, soll seine Frau verlassen und sich – ausgerechnet – in eine junge Ärztin verliebt haben. Wenn das nicht wahre Identifikation mit seinem Job war! So etwas nachzurecherchieren ist gar nicht einfach. Ganz abgesehen davon, dass ich Schlüssellochgeschichten wie alle neugierigen Menschen zwar bisweilen gerne lese, aber es doch degoutant finde, sie zu schreiben. Jedenfalls hatten mir die Nachbarn bestätigt, dass Nordenthals Frau das Haus mit einigen Koffern verlassen hatte. Überdies stellte sich durch die Eingabe der entsprechenden Suchbefehle in diversen Pressediensten heraus, dass Nordenthal wegen eines geringfügigen Herzproblems vor kurzem eine Woche in einer Privatklinik zugebracht hatte. Just in dieser Klinik arbeitete die junge Ärztin, mit der er, wollte man den Gerüchten Glauben schenken, liiert war. Wenn das sein Herzproblem nur nicht größer gemacht hatte. Jedenfalls beschlossen wir, dass die Geschichte plausibel genug war, um gedruckt zu werden.
Ich griff nach der ersten Zeitung. Für Politik hatte ich nicht viel übrig, also überflog ich bloß die Schlagzeilen, sah mir dann genauer als sonst den Wirtschaftsteil an, las den Auslandsteil und stellte fest, dass in Mittelamerika ein Hurrikan im Anzug war, schweifte kurz ab und dachte an Oskars Idee mit der Karibikreise. Planungen erschreckten mich. Hätte er gesagt, morgen fahren wir in die Karibik, ich wäre ihm begeistert um den Hals gefallen. Aber zu planen hieß das Schicksal herauszufordern, und das meinte es mit mir momentan im Großen und Ganzen sehr gut. Ich ließ die Zeitung fallen, entdeckte in der nächsten nicht viel anderes, lachte über eine Karikatur, die unseren Kanzler zeigte, aber der war ja nun wirklich leicht zu karikieren. Jetzt lag nur mehr das »Blatt« ungelesen auf dem Boden. Ich hob es mit spitzen Fingern auf. Da wurden wenigstens nicht Meinungsvielfalt, demokratische Grundwerte, Seriosität oder sonst etwas geheuchelt, das für gewöhnlich in salbungsvollen Worten in der Beschreibung der »Blattlinie« stand. Die Schlagzeile lautete: »Linke Chaoten – zurück an den Absender!« Auf dem Bild waren einige jüngere Frauen und Männer zu sehen, die fest verschnürt in Hand- und Fußfesseln am Boden lagen, offenbar unfähig, sich zu rühren. Im Bildhintergrund saßen zwei Polizisten mit gezückten Schlagstöcken auf massigen Pferden und blickten siegreich auf die »Chaoten« herunter. Der untere Teil der Seite eins wurde von der Überschrift dominiert: »Sexy Sue auf Tour – 78 Prozent aller Frauen möchten einen Busen wie ihren, 94 Prozent aller Männer lieben solche Busen«. Ein Foto wurde für das Blattinnere angekündigt. So brachte man die Menschen dazu, die Zeitung aufzuschlagen. Ich sah mir das Busenwunder an und wusste, dass ich zu den zweiundzwanzig Prozent der Frauen gehörte, die nichts von dieser Ausstattung hielten. Wie sollte man mit diesem Busen auf dem Bauch schlafen können? Ich schlafe gerne auf dem Bauch.
Die Chronikseiten brachten in großer Aufmachung etwas über die Bedrohung durch die chinesische Mafia in Wien. Ich fand den Großteil der China-Restaurants bedrohlich genug, aber das traf auch auf viele Lokale mit österreichischer Küche zu.
Auf der nächsten Seite stand zu lesen: »Gewerkschaft in Mord an Jungmanager verwickelt?« So arg wird es schon nicht gewesen sein, dachte ich und blätterte weiter. Aber war da nicht etwas von »Ultrakauf« gestanden? Ich blätterte zurück. Ich las.
»Gewerkschafterin bedrohte Jungmanager – jetzt ist er tot! Wie berichtet, wurde vergangene Woche Sascha H., Regionaldirektor der Kauf-Kette, erschossen im Lager der Ultrakauf-Filiale Mayerlinggasse aufgefunden. Nun zeichnet sich für die ermittelnden Beamten eine heiße Spur ab: Eine Betriebsrätin der Filiale hatte den Jungmanager wiederholt bedroht, wie Zeugen berichten. Die Frau, die sich bereits seit mehreren Wochen im Krankenstand befindet, wird von Kollegen als ›radikal‹ und ›bedrohlich‹ beschrieben. Wie aus gut informierter Quelle verlautet, könnte sie
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