Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
sind angehalten, sich ebenso zu verhalten. Nur gemeinsam sind wir stark, das klingt banal, ist aber wahr. Aufwiegler gibt es immer wieder, aber Derartiges ist bei uns selten. Wir achten darauf, unsere Mitarbeiter gut zu behandeln, und unsere Mitarbeiter achten darauf, ihr Bestes zu geben – in ihrem eigenen Interesse und im Interesse der Firma. Wie sonst, glauben Sie, hätten wir entgegen allen Trends der Zeit ein so gutes Jahresergebnis eingefahren?«
Ich nickte. Die Frage hatte ihn sichtlich geärgert, die Antwort aber war wie aus einem Werbeprospekt. Zu viel Hochglanz, ich arbeitete nicht umsonst beim ›Magazin‹, um derartigen Fassaden zu misstrauen.
9.
Die einstweilige Leiterin der Mordkommission 1 hieß Katharina Schneyder und nahm sich alle Beschäftigten des Ultrakaufs in der Mayerlinggasse persönlich vor. Bald wusste sie ganz genau, welche bösen Bemerkungen – freilich immer in dessen Abwesenheit – über Heller gefallen waren, auch Drohungen und Verwünschungen waren dabei. Die Belegschaft erfuhr über wundersame Umwege sehr rasch, was der jungen Kriminalbeamtin alles erzählt worden war. Nach einigen Tagen misstraute jeder jedem. Mit der Loyalität unter den Kassiererinnen, Regalauffüllerinnen, Verkäuferinnen und Lagerarbeitern war es offenbar nicht weit her.
Die rote Karin war trotz Krankenstand gebeten worden, im Sicherheitsbüro zu erscheinen. Ihre lieben Kolleginnen hatten ausgeplaudert, wie gespannt das Verhältnis zwischen ihr und dem Regionaldirektor gewesen war.
Lächerlich, von den üblichen Feindseligkeiten auf ein Mordmotiv zu schließen. Noch viel lächerlicher, wenn man wusste, dass es Heller gewesen war, der versucht hatte, Karin zu ermorden. »Dolus eventualis«, diese beiden Worte spukten mir im Kopf herum. Er hatte es zumindest in Kauf gekommen. Heller hatte man aus nicht einmal einem Meter Entfernung von vorne in die Brust geschossen. Das war glatter Mord, nicht bloß ein Spielen mit der Möglichkeit, ihn umzubringen.
Droch kannte Zuckerbrots Vertretung nicht. Aufgrund unserer ersten Begegnung war ich mir sicher, dass es nicht viel Sinn haben würde, sie um Informationen zu bitten.
Was ich über den Stand der Ermittlungen wusste, hatte ich von einigen Verkäuferinnen im Supermarkt. Sie waren nach dem Mord gesprächiger geworden. Dabei hatten sie eine Menge zu tun, die Geschäfte gingen ausgezeichnet. Die Medienberichte hatten Schaulustige angezogen, die ihre zweihundert Gramm Extrawurst nun eben in der Mayerlinggasse kauften. Das und einige andere Umstände führten dazu, dass Vesna tatsächlich schon sehr bald mit einer befristeten Arbeitsgenehmigung als Regalauffüllerin eingestellt wurde.
»Ist nur Halbtagesarbeit«, erzählte sie, »ganztag gibt es nicht, auch wenn ihnen Leute fehlen. Kann man so besser einteilen, hat der Chef gesagt. Mir wäre ganztag lieber gewesen, mehr Chance, alles mitzubekommen. Aber Frauen sagen, wenn so viel los ist wie jetzt, werden Halbtagskräfte trotzdem den ganzen Tag beschäftigt.«
Wir saßen im dunkel-muffigen »Espresso Evi« in der Mayerlinggasse, hatten etwas vor uns, das die Bedienung Tee genannt hatte, aber wie abgestandenes warmes Wasser schmeckte. Vesna erstattete Bericht.
»Das ist erlaubt?«, fragte ich.
Vesna zuckte die Schultern. »Nächste Woche kommt die rote Karin zurück, die kann man fragen. Entweder man tut es, oder man kann gehen.«
»Und sonst?«
»Noch nicht viel. Alle glauben, dass Heller von irgendjemandem aus Rache umgebracht worden ist. Aber das kann ich nicht glauben. Mordgedanken schon, aber Mord?« Sie schüttelte den Kopf.
»Die Cognacdiebe?«
»Waren, sagen alle, welche von der Belegschaft oder von den Lieferanten. Ich weiß nicht, alle erzählen darüber, nur der Tschuschenblock sagt nichts. Ich mag das Wort nicht, aber sie heißen so und sagen auch selbst so. Ich kann mit ihnen reden, gehöre dazu irgendwie als eine von Bosnien. Aber sie trauen mir nicht, weil ich so viel mit denen aus Österreich rede. Da gibt es einen Anführer, den nennen sie Capo, er arbeitet im Lager. Und seine Freundin füllt wie ich Regale auf. Die geben Ton an.«
»Was tun sie?«
»Nichts, nur reden, wie die anderen. Aber nicht über die Cognacsache. Vielleicht reden sie nicht, weil sie etwas wissen.« Vesna schob den so genannten Tee angeekelt von sich. »Außerdem es gibt einen neuen Regionaldirektor, zumindest provisorisch. Er kommt aus der Zentrale und heißt Klaus-Peter Kunz-Klein. Natürlich heißt er bei allen Kurz
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