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Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi

Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Rossmann
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auffallen«, hatte sie optimistisch gemeint. Es gab eine ganze Menge von Dingen, die nicht auffallen durften. Trotz Jeans, dicken Strumpfhosen, einem Sweatshirt und meinem alten Daunenanorak fror ich erbärmlich. Es war sechs Uhr in der Früh, ich hatte viel zu wenig geschlafen, und ein eisiger Wind blies. Oskar hatte ich von der Aktion sicherheitshalber nichts erzählt. Vielleicht war das ein Fehler gewesen. Wir hatten uns seit dem missglückten Wochenendfinale nicht mehr gesehen, allerdings mehrmals und lange telefoniert. Trotzdem: Eine gewisse Missstimmung zwischen uns bestand immer noch. Ich war verrückt, hier herumzustehen, statt zu Oskar ins warme Bett zu schlüpfen und ihm ausgiebig zu verzeihen. Was war ein Weihnachtsbesuch bei seiner Verwandtschaft schon gegen eine Aktion wie diese? Man würde uns festnehmen lassen oder etwas machen, von dem die Polizei nichts erfahren durfte. Warum ließ ich mich von Vesna immer wieder mitreißen? Aber: Hätte ich sie allein lassen können?
    Zuerst hörte ich den Lärm des mächtigen Dieselmotors, dann erst sah ich den langen, blau-gelb lackierten Kühl-LKW. Er bog in die Einfahrt. Das riesige, hydraulische Tor schwenkte nach oben. Schwaches Neonlicht erhellte nun Teile des Vorplatzes. Der LKW fuhr mit dem Heck voran in die Lagerhalle. Ich lief wie vereinbart auf den Platz vor dem Lager und drückte mich hinter einen Berg aufgeschichteter leerer Paletten.
    Wieder schien die Zeit stillzustehen. Was mache ich, wenn Lagerarbeiter kommen? Was, wenn der LKW-Fahrer kommt, um ausgerechnet hier eine Zigarette zu rauchen? Noch immer war es finstere Nacht. Ich registrierte, dass der Straßenverkehr langsam zunahm. Welche Leute, abgesehen von denen, die im Supermarkt arbeiteten, mussten so früh schon unterwegs sein?
    Vesna erschien im rechten Eck der Toreinfahrt und streckte dreimal die rechte Hand in die Höhe. Das war unser Zeichen, dass alles nach Plan lief. Ich sah mich um und trabte los.
    »Komm«, flüsterte sie, »Decken sind da, Fahrer ist weit weg, er hat mit Stapler die letzten Kisten genommen, Fleischleute sind im Fleischraum.« Der Weg zwischen der Lagerecke und dem LKW schien unüberwindlich weit. Wir rannten von Warenstapel zu Warenstapel. Die letzten paar Meter gab es keinen solchen Sichtschutz mehr. Jetzt schwitzte ich unter meinen dicken Kleidungsschichten. Nie hätte ich mir vorgestellt, dass die Ladefläche eines LKWs so hoch oben ist. Ich schaffte es erst im zweiten Anlauf, hineinzuklettern, und riss mir dabei das Knie blutig. Vesna war flinker gewesen, sie deutete auf die Decken. Wir krochen darunter. Die Decken rochen muffig nach Staub und nach schmutziger Kälte. Nur ein paar Augenblicke später hörten wir den LKW-Fahrer kommen. Mit lautem, im Laderaum widerhallendem Ton ließ er die Hecktüren zufallen und schob einen Riegel vor.
    »Eingesperrt«, dachte ich im Stockdunkeln, und in mir stieg Angst auf. Ich hasse es, nicht einmal eine Spur von Licht zu sehen. Ich schob den Kopf aus den Decken, bekam nun wenigstens mehr Luft, aber an der totalen Finsternis hatte sich nichts geändert. Es war ein Kühl-LKW, natürlich, er musste entsprechend dicht abschließen. Das Geräusch, das neben dem Motorengeräusch zu hören war, stammte wahrscheinlich von Ventilatoren. Mit Schaudern erinnerte ich mich daran, wie ich vor mehr als einem Jahr in einem Kühlkeller eingesperrt worden war. Damals hatten mich Vesna und Joe befreit. Es war Sommer gewesen, und ich hatte nur ein T-Shirt und Baumwollhosen getragen. Hier war ich mehr oder weniger freiwillig, ich hatte gewusst, was auf uns zukommen würde, wir würden nicht ewig im LKW bleiben müssen, und ich war warm genug angezogen. Kein Grund, sich aufzuregen. Der LKW bog rasch um eine Ecke. Ich verlor den Halt und wurde zur anderen Seitenwand geschleudert. Ein dumpfer Aufprall, ein heller Schmerz an der Hüfte. Ich versuchte etwas zu finden, woran ich mich festhalten konnte. Eisenringe. Ich wollte keinen Lärm machen und traute mich nicht, nach Vesna zu rufen. Eine Hand auf meinem Arm. »Vesna«, zischte ich.
    »Du bist verletzt, Mira Valensky?«
    »Nein, alles in Ordnung, wird nur ein großer blauer Fleck.« Hoffte ich zumindest.
    »Du musst festhalten.«
    »Hoffentlich hat er es nicht gehört.«
    »Glaube ich nicht.«
    Wieder eine Kurve, aber diesmal ließ ich mich nicht herumschleudern. Wie schlecht so ein LKW gefedert war. Das Fleisch in den Kisten würde sich nicht beschweren.
    Ich wusste, dass das Zentrallager rund

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