Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
hoch empfindlicher Film. Ich konnte nur hoffen, dass die automatische Blitzfunktion tatsächlich ausgeschaltet war.
Ich visierte die Männer im anderen LKW an und drückte ab. Sie waren zu beschäftigt, um etwas zu merken. Vesna schlich weiter nach vorne, ich kam zu spät, um sie daran zu hindern. Sie versuchte sich hinter den Kartons mit Biofleisch zu verstecken. Ich machte noch zwei Bilder und wartete voll Angst darauf, dass Vesna endlich wieder zu mir, wo es etwas sicherer war, zurückkam. Ob Karin dasselbe wie wir entdeckt hatte? Ich traute es Karin zu, ganz allein als blinde Passagierin im LKW mitgefahren zu sein. Warum hatte sie uns davon nicht erzählt? Weil sie keine Gelegenheit mehr dazu gehabt hatte?
Jedenfalls schien der Fleischtausch gut organisiert zu sein und schon seit längerer Zeit zu laufen. Heller hatte überall herumgeschnüffelt. Er bekam die Umtauschaktion heraus und wurde erschossen. Dann hatte die Bande erfahren, dass auch Karin von ihren Manipulationen wusste.
Und wir hockten im LKW. Gefangen. Wenn es eine Fluchtmöglichkeit gegeben hätte, ich hätte sie genutzt.
Vesna schlich zu mir zurück, wir kauerten uns wieder hinter die Kartons mit dem Schweinskarree.
»Sie schneiden Verpackungsbänder auf, füllen Fleisch um, geben neue Verpackungsbänder herum. Sieht aus wie vorher. Wir sind auf einem alten Parkplatz, er ist ganz verwachsen, daneben ist irgendeine Ruine, kann sein, von einer Fabrik. So gut habe ich nicht gesehen. Aber ich habe die LKW-Aufschrift gesehen. Am LKW steht ›Rindvieh Tod komm‹.«
»Reichlich makaber«, wunderte ich mich.
»Warum?«, antwortete Vesna leise, »Internet hat heute bald jeder.«
Es war wohl meiner Angst zuzuschreiben, dass ich eine Zeit lang brauchte: rindvieh.com.
»Natürlich«, flüsterte Vesna, »was hast du gedacht?«
Wir duckten uns. Die Männer wuchteten die umgefüllten Kisten zurück in den Laderaum und verabschiedeten sich voneinander.
»Schau, dass du morgen pünktlich bist, sonst kommt alles durcheinander«, befahl einer der beiden Männer aus dem anderen LKW. Wieder wurden die Türen zugeschlagen, wieder wurde es stockfinster, und wir hörten, wie der Riegel vorgelegt wurde. Wieder ging es zuerst über einen Feldweg, dann über kleine Straßen, schließlich auf die Autobahn.
»Weiß Ultrakauf davon?«, flüsterte Vesna.
Ich murmelte: »Was sollte die Kauf-AG davon haben?«
»Vielleicht der van der Fluh persönlich.«
»Rindvieh.com kauft billiges, aufgetautes Fleisch und ersetzt es durch Frischfleisch mit deutlich besserer Qualität. Dieses Frischfleisch wird dann teurer verkauft. Van der Fluh schneidet mit. Oder doch die Kauf-AG? Im Endeffekt kommen sie so zu billigerem Fleisch, das geht natürlich nur illegal. Den Arbeitern wird etwas Schweigegeld gezahlt, und der Fall hat sich.«
»Aber sie haben in Bilanz etwas anderes, können nur das Frischfleisch hineinschreiben.«
»Dann wird sie eben gefälscht.«
»Ich weiß nicht, Sache ist zu kompliziert«, flüsterte Vesna zweifelnd. Mir kam das Ganze auch nicht eben schlüssig vor.
»Wie viel Preisunterschied ist zwischen aufgetautem und frischem Rindfleisch?«, wollte ich von Vesna wissen.
»Keine Ahnung, aber schon einer. Vor allem rund um Feiertage, wo alle kaufen, als es gäbe gleich eine Hungersnot.«
»Karin ist dahinter gekommen und verschwunden«, murmelte ich dumpf.
»Keine Angst, Mira Valensky. Jetzt ist nur mehr LKW-Fahrer vorne, er ist von Ultrakauf und sieht er harmlos aus. Habe ihn in den letzten Tagen beobachtet.«
»Was glaubst du?«
»Wenn es nicht zweite Schweinerei gibt im Ultrakauf, dann muss die Sache mit Heller und Karin mit Fleischtausch zu tun haben. Irgendwie zumindest.«
Wir fuhren wieder durch Wien. Bei welchem Supermarkt würden wir Halt machen?
»Besser, wir ziehen Mantel über«, meinte Vesna.
»Aber sie merken doch, dass wir nicht in ihrer Filiale arbeiten.«
»Kann schon sein, aber sie sehen Ultrakauf-Mäntel und glauben, wir arbeiten zumindest in gleicher Firma. Außerdem weißt du, wie viele Leute nur stundenweise arbeiten. Wir können neu sein.«
»Und werden wie das angebliche Frischfleisch direkt per LKW geliefert.«
»Man muss ein Stück Fleisch aus umgepackten Kisten klauen«, meinte Vesna.
»Ich habe Fotos, falls auf ihnen etwas zu sehen ist.«
Es war zu spät, wir bogen ab, fuhren eine steile Kurve, der LKW schob zurück, der Motor verstummte. »Tot«, schoss es mir durchs Hirn. Vesna drückte mir den Mantel in die Hand.
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