Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
Rindern, erinnern konnte.
»Das geht schnell«, flüsterte Vesna und richtete den Lichtstrahl auf ihre Uhr. »Er kann nicht mit Ladung nur eine Viertelstunde auf der Autobahn brauchen«, fügte sie dann irritiert hinzu.
Sie drehte das Licht ab. Vesna sollte die Taschenlampe brennen lassen, dann würde es mir vielleicht auch nicht mehr so kalt vorkommen.
»Hörst du, Mira Valensky, was ich sage? Das ist nicht Wien. Er fahrt woanders hin.«
»Hauptsache, wir kommen endlich hier heraus.«
»Vielleicht gibt es auch anderswo aufgetautes Fleisch.«
»Sieht aber nicht so aus, als ob wir welches geladen hätten.«
»Ich weiß nicht, Mira Valensky«, klang es entmutigt aus dem Dunkel zurück.
Wenn ich wenigstens gewusst hätte, wie ich sitzen oder stehen sollte. Zu stehen hieß, nur allzu leicht von Bodenwellen und Straßenunebenheiten umgeworfen zu werden, vom Sitzen mit angezogenen Beinen tat mir aber bereits alles weh. Wir bogen ein paarmal ab, die Straßen wurden holpriger. Ich dachte an Vesnas Rat, falls die Ladung ins Rutschen kommen sollte, und stand wieder auf. Es schien keine Ampeln zu geben. In welches verlassene Kaff fuhren wir, um es mit Fleisch zu versorgen, das angeblich direkt von glücklichen Bauern mit glücklichen Tieren stammte?
Rund fünf Minuten nachdem wir die Autobahn verlassen hatten, ging die Straße in einen Feldweg über. Die Kisten sprangen auf und ab, ich war an die Rückwand des Laderaums gepresst, bereit, jeden Moment nach oben zu springen, um wenigstens dem größten Druck der auf uns stürzenden Kartons zu entkommen. Jedenfalls konnte man mir keinen mangelnden Einsatz vorwerfen. Aber wer verlangte Einsatz von mir? Niemand, im Gegenteil: Sie hatten alles getan, um mich davon abzuhalten.
Der LKW hielt an. Stille. Dann gingen die Hecktüren auf. Eine Männerstimme sagte: »Wir warten schon eine halbe Stunde. Was ist los? Du weißt, dass du pünktlich sein musst.«
Der LKW-Fahrer antwortete: »Bin aufgehalten worden, irgendwelche Probleme mit der Ladung. Weihnachten kommt, da geht alles drunter und drüber. Was kann ich dafür?«
Die unbekannte Männerstimme: »Jetzt aber schnell!«
Wir hatten uns sicherheitshalber wieder unter den Decken versteckt. Die Ladeplattform wurde nach unten gelassen und wenig später wieder nach oben gefahren. Jetzt konnten wir zwei unbekannte Männerstimmen und die Stimme unseres LKW-Fahrers unterscheiden. Die drei standen am Ende des LKW-Laderaums und wuchteten offenbar Kartons auf die Plattform.
Ein Mann sagte: »Endlich scheint einmal die Sonne.«
Ansonsten wurde kaum etwas geredet. Karton um Karton wurde gehoben. Nach einiger Zeit war die Ladeplattform offenbar voll, sie wurde nach unten gefahren, und die Männer ließen die Kartons unsanft auf einen Metallboden fallen. Eine andere Ladeplattform? Wo waren wir? Vesna versuchte auf Zehenspitzen ins Freie zu linsen, als ich unter meinen Decken hervorkroch. Ich war ein schönes Stück größer als sie, und wenn ich mich streckte, konnte vielleicht ich über die verpackten Fleischberge hinwegsehen. Wir standen Heck an Heck mit einem anderen LKW. Die Männer luden die Kartons um.
»Hast du noch Rostbraten? Wie brauchen drei Stück. Und noch zwei Lungenbraten. Nur vom Besten, wie immer. Rindsschnitzelfleisch auch, da haben wir noch vier Kartons.«
Wieder wurde der hydraulische Mechanismus betätigt. Wieder wurden Kartons verfrachtet. Das hier war Fleischdiebstahl im großen Stil. Ich rechnete. Eine Kiste mit fünfunddreißig Kilo Lungenbraten war am Markt an die tausend Euro wert. Aber der Diebstahl würde doch sofort auffallen …
»Schnell, wir müssen den Zeitverlust aufholen«, rief der eine. Sie waren jetzt alle drei in den anderen LKW geklettert. Was für ein Glück, dass sie es nur auf Rindfleisch abgesehen hatten. Das Schweinefleisch stand hinten und gab uns Deckung. Oder war es kein Zufall, wie das Fleisch in den LKW gestapelt worden war? Arbeitete das Management der Kauf-AG mit irgendwelchen Fleischdealern zusammen? Wie? Man bestahl das Unternehmen doch. Wer schnitt mit?
Vesna winkte, ich schob mich weiter nach vorne.
»Das Kauf-Fleisch kommt heraus, dafür kommt anderes Fleisch in die Kisten.«
Komisches Fleisch, die schlechtere Fleischqualität, von der die rote Karin gesprochen hatte, aufgetautes Fleisch. Ich hatte für alle Fälle einen kleinen Fotoapparat mitgenommen. Im Zentrallager hatte ich nichts gesehen, was das Risiko wert gewesen wäre, es zu fotografieren. In der Kamera war ein
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