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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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Grünfläche zu gelangen, aber das da sah so
sehr wie die alte Schalterhalle aus, die sie erwartet hatte, dass sie
blinzeln und von neuem hinschauen musste, um festzustellen, ob sie sich
womöglich etwas vorgaukelte. Und dann, als sie die Anordnung der
Wohnungen in Beziehung zu dem Gebäude näher betrachtete, da wurde ihr
klar, was passiert sein musste. Das dort war tatsächlich einmal eine
Schalterhalle gewesen, doch sie war geschlossen und in Wohnungen
umgewandelt worden. Wahrscheinlich war das Gebäude auf diese Weise mehr
wert. Jetzt führte der Weg in den Bahnhof durch einen anonymen Vorbau
aus Fertigteilen, und die Menschen, die jetzt in der alten
Schalterhalle wohnten, hatten keine Ahnung von der Geschichte, durch
die sie trotteten.
    Der kurze Fußweg vom Bahnhof brachte sie auf die
Strandpromenade. Direkt vor ihr lag die Landungsbrücke: ein langer
hölzerner Pfad, der ins Meer hinausführte, getragen von einem
kunstvollen Fachwerk aus Pfählen und Streben. Links davon erstreckte
sich eine Reihe von Hotels und Gasthäusern, die sich in der Ferne
verlor. Und rechts war etwas, was auf den ersten Blick aussah wie ein
Haufen Kinderbauklötze in hellen Farben, wie Kraut und Rüben
übereinandergehäuft. Daisy brauchte ein paar Augenblicke, ehe sie
begriff, dass es Strandhütten waren: einfache Holzhäuschen, in allen
erdenklichen Rot-, Grün- und Gelbtönen gestrichen, entlang des
abfallenden Hangs gebaut und durch gepflasterte Gehwege voneinander
getrennt.
    Doch es war das Meer, das ihre Aufmerksamkeit anzog. Das
ruhelose Meer – tausend Schattierungen von Blau und Grau, alle
ineinander verschwimmend, wenn die Wellen auf den Sand schlugen und
wieder zurückrannen, nur um ihre Kräfte für einen neuen Angriff zu
sammeln. Sie spürte die Gischt in der Luft, sie prickelte auf ihrer
Haut. So chaotisch, so unbarmherzig, und so unendlich faszinierend!
Stundenlang konnte sie zuschauen.
    Doch sie musste noch eine Unterkunft finden. Die Fahrt von den
Vorstädten Londons bis Colchester und dann die Bahnfahrt hatten sie
erschöpft, und nach nichts sehnte sie sich mehr als nach einem langen,
heißen Bad und einem langen, traumlosen Schlaf.
    Das Beste, was sie tun konnte, beschloss sie, war, sich für
ein paar Nächte ein nettes Hotel zu suchen. So konnte sie sich Zeit
nehmen, um sich nach etwas Dauerhafterem umzusehen – einer
Wohnung zum Beispiel, im Erdgeschoss eines alten Hauses irgendwo in
Fußmarschnähe zum Strand. Solange sie eine Küche hatte, wo sie kochen,
und ein Bett, in dem sie schlafen konnte, so würde sie zufrieden sein.
Eine Höhle, von der aus sie auf Beutezug gehen konnte. Nicht das Fell
verkaufen, ehe man den Bären hat, wie das alte Sprichwort sagte.
    Ein Garten wäre schön, aber nicht unerlässlich. Schließlich
war der Kofferraum ihres Wagens in Colchester angefüllt mit all den
Zweigen, Blättern, Blüten und Wurzeln, die sie in ihrem echten Garten, ihrem richtigen Garten geerntet
hatte. Damit wäre sie ausreichend versorgt.
    Langsam und mit wachsender Müdigkeit machte Daisy kehrt und
wanderte an den Hotels und Gasthäusern entlang. Die ersten sahen aus,
als seien sie dazu gemacht, die erstbesten Passagiere aus dem Zug
einzufangen: öde Plastikschuppen ohne Charakter und Reiz, außer ihrer
Nähe zum Bahnhof und zum Strand. Das Nächste war eine große Pension mit
Zimmern über der Bar: zu laut, entschied sie. Und dann, ein kleines
Stück weiter, entdeckte sie ein kleines Haus, dem Stil nach aus der
Zeit König Edwards, vier Stockwerke hoch, das sich Leystons
Arms Hotel nannte. Sie blieb eine Weile davor stehen und
begutachtete es. Die Fenster waren sauber, die Eingangsstufen
fleckenlos.
    Irgendjemand da drinnen war wohl mit Sodakristallen vertraut,
dachte sie.
    Kurzentschlossen ging sie die Stufen hinauf ins Foyer. Der
Teppich war frisch gesaugt, und sie roch Möbelpolitur. Das alles waren
gute Zeichen. Der Mann hinter dem Tresen war untadelig gekleidet, in
schwarzer Hose, weißem Hemd und brauner Krawatte. Die Zwillingsfalten
vorn an seinem Hemd wiesen darauf hin, dass er es entweder zum ersten
Mal trug oder dass er außer Haus waschen und bügeln ließ. Doch das
konnte sie ihm verzeihen angesichts der Art, wie er sie anlächelte.
    »Guten Tag, Madam. Kann ich Ihnen helfen?«
    »Haben Sie zufällig ein Zimmer frei?«, fragte sie und lächelte
ihrerseits.
    »Haben wir«, sagte er. »Wie viele Nächte möchten Sie bleiben?«
    Sie überlegte kurz. »Es könnte eine Woche werden. Ginge

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