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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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lang.
    »Reiß dich zusammen«, murmelte sie. »Konzentriere dich.«
    Rasch wusch sie sich, nahm Stift, Notizbuch und einen Stapel
Schreibpapier aus ihrem Koffer und eilte hinunter ins Speisezimmer.
    Das Abendessen bestand aus zwei Lammkoteletts mit
Spargelspitzen und Kartoffelgratin, einfach zubereitet, aber
schmackhaft. Sie rundete es mit einem Biskuitdessert ab –
etwas, was sie seit Jahren nicht gegessen hatte. Etwas, das sie als
›Kindergartenfutter‹ betrachtete – einfach, aber tröstlich,
und gar nicht mal so schlecht. Die Portionen waren klein, aber genug
ist so gut wie ein Festessen, wie sie immer sagte.
    Während sie aß, machte sie sich an die nächste Phase ihrer
Aufgabe. Bevor sie das Haus in London in der Obhut der Makler
zurückgelassen hatte, hatte sie Daisys Briefe sorgfältig nach Namen von
Freunden durchkämmt, mit denen sie in gelegentlichem Kontakt stand.
Etliche ihrer Briefpartner waren verstummt oder im Laufe der Jahre
gestorben, aber Daisy bekam immer noch Weihnachtskarten oder
gelegentliche Rundbriefe von sieben Leuten – alten Freundinnen
oder Kolleginnen, mit denen sie Abschnitte ihres Lebens geteilt hatte.
Daisy nahm etliche Bögen ihres Papiers und schrieb an jede Person oder
Familie denselben Text in einer fast perfekten Kopie von Daisys
krakeliger Handschrift, die sie eingeübt hatte, während sie um die alte
Hexe herumscharwenzelt war.
    Es tut mir leid, dass ich mich eine
Weile nicht gemeldet habe, aber mein Leben ist ziemlich kompliziert
gewesen. Ich weiß nicht, ob ihr euch an meine Cousine Heather erinnert,
aber sie ist vor kurzem krank geworden. Sie erholt sich derzeit zu
Hause und hat mich gebeten, zu kommen und für sie und ihre Katzen zu
sorgen. Ich weiß nicht, wie lange ich fort sein werde, aber ich
fürchte, es könnte einige Zeit dauern. Ich habe das Haus vermietet,
solange ich weg bin – ich scheue mich, es leer stehen zu
lassen, und so weiß ich wenigstens, dass sich jemand darum kümmert, und
ich habe außerdem ein kleines (dringend notwendiges!) Nebeneinkommen.
    Ich lasse es euch wissen, wenn ich mehr
weiß – in der Zwischenzeit benutzt bitte, falls ihr zum
Schreiben kommt, die oben genannte Adresse.
    In jeden der Briefe fügte Daisy die Namen
und ein paar direkte Fragen und Details ein, die sie den Briefen der
Empfänger entnommen hatte, damit jeder einzelne persönlicher wirkte.
Den oberen Teil der Bögen ließ sie frei. Wenn sie sich irgendwo hier in
der Gegend niedergelassen hatte, würde sie die Anschrift hinzufügen.
Oder, wenn sie ganz sichergehen wollte, konnte sie auch ein Postfach
benutzen.
    Sie las die Briefe noch einmal durch. Sie wusste nicht recht,
ob sie vielleicht zu formell, zu sorgfältig formuliert waren.
    Daisy war in ihrer Sprechweise sehr salopp gewesen, doch das
wenige Schriftliche, das sie von ihr gesehen hatte, verriet einen
schärferen Verstand und einen gewandten Schreibstil. Und als sie bei
ihren Erkundungsgängen durchs Haus Daisys Bücher gesehen hatte, hatte
sie ihre Meinung über die Frau geändert. Daisy, so glaubte sie, hatte
ein wenig geblufft.
    Nach dem Essen brachte sie die Briefe in ihr Zimmer und ging
wieder in die Diele hinunter, in der Absicht, einen gemächlichen Bummel
durch die Stadt zu machen. Die Sonne war untergegangen, seit sie
angekommen war, und der indigoblaue Himmel des Sonnenuntergangs, der
als Hintergrundkulisse für das Drama der See gedient hatte, war jetzt
ein schwarzer Vorhang, vor dem die strahlenden Laternen der
Strandpromenade prunkten.
    Doch gleich rechts war ja die Bar, und sie fand, sie hätte
einen Drink verdient, bevor sie loszog. Der Tag war wirklich gut
gelaufen, alles in allem genommen.
    Die Bar war mit Rohrstühlen und niedrigen Glastischen
ausgestattet. Das war zwar nicht ganz ihr Fall, aber sie trat trotzdem
entschlossen an den langen Tresen und bat den Barkeeper –
einen schlaksigen Jungen, der wahrscheinlich höchstens ein Drittel
ihrer Lebensjahre gesehen hatte – um einen kleinen trockenen
Sherry.
    Seine dicken Augenbrauen zogen sich zu einem durchgehenden
Strich zusammen. »Glaub nicht, dass wir Sherry haben«, sagte er, ohne
auch nur die Flaschen anzusehen.
    Aber Daisy ließ nicht locker. »Dann möchte ich einen Dubonnet
mit Zitrone, bitte.«
    Er schenkte ihr mürrisch ein, und sie nahm ihren Drink mit
hinüber an einen Tisch in einer Ecke, von wo aus sie den ganzen Raum
überblicken konnte. Er war ziemlich leer – die meisten Leute
waren wohl ausgegangen –, doch ein

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