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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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das?«
    »Lassen Sie mich sehen.« Er blickte nach unten und
konsultierte anscheinend einen Computer, der unterhalb des Tresens
stand. Überall Computer heutzutage. Wie hatte die Welt es bloß
fertiggebracht, ohne sie zu funktionieren?
    »Wir haben ein Zimmer mit Blick auf den Strand oder eins im
hinteren Teil des Hotels«, erklärte er schließlich. »Beide zum selben
Preis.« Er warf einen schnellen Blick zur Seite, auf eine
samtüberzogene Preistafel von derselben Farbe wie seine Krawatte.
Darauf waren die Preise für Einzelzimmer, Doppelzimmer, Familienzimmer
und für das Frühstück vermerkt. Daisy überdachte die Information einen
Moment lang, sie argwöhnte, dass der Mann sich in Anbetracht ihres
Alters und ihrer Kleidung bereits fragte, ob sie wohl genug Geld hatte,
um das Zimmer zu bezahlen.
    »Gibt es irgendeinen Unterschied zwischen den beiden?«, fragte
sie.
    »Das im hinteren Teil bekommt weniger Verkehrslärm ab,
besonders morgens, aber es hat keine so schöne Aussicht«, erklärte er
und lächelte wieder.
    »Dann nehme ich das Zimmer nach vorne.«
    Er nickte. »Darf ich Ihre Kreditkarte haben?«
    »Oh«, sagte sie, »eine Kreditkarte habe ich nicht.« Und um
seinem Erstaunen zuvorzukommen, fügte sie schnell hinzu: »Ich kann die
Dinger nicht leiden. Ich habe nie eine gebraucht, und ich sehe nicht
ein, weshalb ich jetzt damit anfangen soll.«
    Einen Augenblick lang war er ratlos. »Wir brauchen
normalerweise eine gewisse Form der … Absicherung«, meinte er
dann.
    »Könnte ich für zwei Tage im Voraus zahlen?«
    Der Mann dachte kurz nach. »Das wäre schön«, sagte er. »Wenn
Sie bitte dieses Formular ausfüllen würden …« Er langte unter
den Tresen und brachte ein Klemmbrett mit vorgedruckten Formularen zum
Vorschein. Er drehte es so zu ihr herum, dass sie es ordentlich sehen
konnte, und fügte hinzu: »Füllen Sie einfach Ihren Namen und Ihre
Adresse aus – den Rest mache ich dann.«
    Ein Kugelschreiber war mit einer Kette oben an dem Klemmbord
befestigt. Eifrig griff Daisy danach, setzte die Spitze auf das Papier
und begann ihren Namen zu schreiben.
    Und stellte mit Schrecken fest, dass sie nicht mehr wusste,
welcher das war.
    Wer war diese Frau, die hier im Hotelfoyer stand? Daisy
Wilson? Violet Chambers? Jane Winterbottom? Alice Connell? Wie
unterschrieb sie mit ihrem Namen: einfach, verschnörkelt oder in
gestochener Handschrift? In ihrem Verstand wirbelte das Strand- und
Treibgut zu vieler abgestreifter Leben umher. Unentschlossenheit
paralysierte sie. Ihre Hand zitterte und machte kleine Muster auf das
Formular.
    »Alles in Ordnung, Madam?«
    Sie atmete tief durch. »Es tut mir leid – es war ein
langer Tag.«
    Taste dich rückwärts: Von wo war sie losgefahren? Wie sah das
Haus aus? Wie sah die Straße aus? Wer war sie?
    »Daisy Wilson«, sagte sie fest und griff sich die nächste, die
jüngste Erinnerung, als sie vorüberflutete. »Mein Name ist Daisy
Wilson.« Rasch schrieb sie ihren Namen und – mit leisen
Befürchtungen – Daisys Adresse hin. Das war in gewisser Weise
eine Spur, doch das half nun nichts. Schließlich würde sie ja noch eine
Weile Daisy spielen.
    »Danke sehr«, sagte er, als sie das Formular zurückreichte und
in ihrer Handtasche nach der Geldbörse kramte. »Ich habe mir erlaubt,
Ihnen Zimmer 241 zu geben. Die Bar ist zu Ihrer Linken, das
Speisezimmer zu Ihrer Rechten. Wünschen Sie für heute ein Abendessen?«
    Sie dachte kurz nach. Es war eine lange Reise gewesen, und sie
war nicht besonders scharf darauf, herumzulaufen und nach einem
zivilisierten Restaurant zu suchen. »Ja, das wäre wundervoll. In etwa
einer halben Stunde?«
    »Ich sorge dafür, dass ein Tisch zu Ihrer Verfügung steht«,
sagte er. »Ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt.«
    Daisy trug ihren Koffer hinauf in ihr Zimmer. Es enthielt ein
Bett, einen Schreibtisch mit Stuhl und einen kleinen Sessel, alles auf
engstem Raum arrangiert, ohne dass es beengt wirkte.
    Wieder ein Hotel. Wieder eine andere Stadt. Eine andere
Identität.
    Eine Woge aus … aus irgendetwas … erhob sich
urplötzlich und brach über sie herein. Es war nicht eigentlich Kummer
oder Traurigkeit oder Bedauern oder sonst etwas Bestimmtes. Eher so,
als ob gedämpfte Versionen jedes einzelnen dieser Gefühle sich vermengt
hatten, um etwas Neues zu schaffen, etwas Namenloses: ein allgemeines
Gefühl trauriger Verbindungslosigkeit zur Welt. Einen Augenblick lang
war sie verloren und haltlos. Einen Augenblick

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