Kaltes Gift
Mann. »Violet Chambers.«
»Arme Violet«, meinte Mrs. Halloran rätselhaft und verschwand
in die Küche.
Mr. Halloran bedeutete ihnen, sich aufs Sofa zu setzen. Er
selbst sank in einen Armsessel. »Militärzeit«, sagte er und deutete mit
dem Kopf auf die Fotos. »Alles, von Korea bis Nordirland. Verbringe
jetzt meine Zeit damit, mich über die kleinen Halunken zu ärgern, die
in meiner Hecke Versteck spielen. Merkwürdige Sache, das Leben.«
»Also, zu Violet Chambers …«, erinnerte Lapslie.
»Sie wohnte schon hier, als wir eingezogen sind, vor etwa
zwanzig Jahren. Sie und ihr Mann – Jack. Er ist ein paar Jahre
später gestorben. Herzattacke, hat der Arzt gesagt. Was immer es war,
es ging sehr schnell. Eben noch hat er im Garten Unkraut gejätet, im
nächsten Moment kippt er um, als ob er erschossen worden wäre.«
»Und Mrs. Chambers?«
»Hat weiter in dem Haus gewohnt. Die Hypothek war abgezahlt.
Ich nehme an, sie hätte auch wegziehen können, aber sie hatten keine
Kinder. Sie schien ganz gut zurechtzukommen. Ist immer einmal die Woche
zum Einkaufszentrum runtergeschlurft. Wir haben angeboten, zu helfen,
aber sie war ein bisschen schnippisch. Legte keinen Wert auf Umgang mit
anderen. Ich glaube, sie fand, sie hätte unter ihrem Niveau geheiratet,
als sie Jack nahm. Wir haben das Haus nie von innen zu Gesicht
gekriegt. Nicht ein einziges Mal, in zwanzig Jahren. Deshalb schien es
ja auch so merkwürdig.«
Emma beugte sich vor. »Was schien merkwürdig?«
Mrs. Halloran kam mit einem Tablett aus der Küche, das sie auf
einem Tischchen zwischen den Sesseln abstellte. »Na ja, eines Tages hat
sie einen Zettel unter unserer Tür durchgeschoben, darauf stand, dass
sie wegziehen müsste«, erzählte Mrs. Halloran. »Das war höchst
ungewöhnlich, denn sie hatte sich sonst nie bequemt, uns so etwas
mitzuteilen. Anscheinend war ihre Schwester krank geworden. Wir wussten
nicht mal, dass sie eine Schwester hatte. Sie schrieb, sie müsse sich
jetzt um sie kümmern. Wir haben sie nie wiedergesehen. Nicht, dass wir
viel von ihr gesehen hätten, als sie noch hier wohnte. Das Nächste, was
wir dann mitkriegten, war, dass andere Leute in das Haus gezogen sind.«
Sie schaute auf und begegnete Lapslies Blick, als sie den Tee eingoss.
»Wir haben gedacht, sie sei gestorben.«
»Das ist sie auch«, bestätigte Lapslie.
»Und was ist mit der Schwester?«
»Das weiß ich wirklich nicht.« Lapslie blickte zu Emma
hinüber, in der Hoffnung, sie werde die Geschichte weiterspinnen. Mrs.
Hallorans Gesicht so dicht an seinem, das war ein wenig unangenehm.
»Es gibt da ein paar Fragen, das Grundstück betreffend«,
übernahm Emma gekonnt. »Wir stellen bloß ein paar
Routinenachforschungen an. Sie sagen, sie hielt sich immer sehr für
sich, und Sie haben sie sehr selten gesehen. Sind Ihnen irgendwelche
Besucher aufgefallen?«
Mrs. Halloran reichte Lapslie eine Tasse Tee. »Das kann ich
wirklich nicht sagen.«
»Doch, da ist jemand gewesen«, sagte Mr. Halloran plötzlich.
Seine Frau blickte ihn an. »Ach ja?«
»Eine Frau. Ich hab sie ein paar Mal aus dem Haus kommen
sehen. Dachte, sie wäre 'ne Haushaltshilfe oder so was, andererseits,
wenn ich so drüber nachdenke, war sie eigentlich ein bisschen zu alt
für 'ne Haushaltshilfe.«
Mrs. Halloran zog die Stirn kraus, als sie Emma ihre Teetasse
reichte. Emma sah sie an, als habe sie noch nie zuvor eine Tasse
gesehen. Vielleicht war es das Knochenporzellan, das sie so aus dem
Konzept brachte. »Jetzt, wo du es erwähnst, ist mir, als hätte ich sie
auch mal gesehen. Da hat sie etwas aus dem Haus getragen. Ich habe
gedacht, sie wäre vom Sozialdienst.«
»Kannten Sie ihren Namen?«, fragte Lapslie.
»Oh nein. Wir haben nie mit ihr gesprochen.«
Lapslie trank rasch seinen Tee aus. »Vielen Dank für Ihre
Hilfe. Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt …« Er wollte
aufstehen, doch etwas in Mr. Hallorans Augen ließ ihn sitzen bleiben.
»Haben wir nicht eine Weihnachtspostkarte gekriegt?«, fragte
er seine Frau.
»Ja, du hast recht«, sagte sie. »Ich glaub, die habe ich sogar
noch.« Sie eilte in den hinteren Teil des Wohnzimmers. »Einen Moment,
ich finde sie gleich.«
»Sie hebt alles auf«, seufzte Mr. Halloran. »Wir haben noch
Weihnachts- und Geburtstagskarten aus der Zeit, als wir geheiratet
haben.«
»Und die Karte – die haben Sie diese Weihnachten
bekommen?«, fragte Emma.
»Ja, ganz richtig.«
Emma blickte zu Lapslie hinüber. Er wusste, was sie
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