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Kaltes Grab

Titel: Kaltes Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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wunderte sich, wie behutsam, fast zärtlich sie vorging. So hatte er sie noch nie erlebt.
    Es war ein Foto seines Vaters in Polizeiuniform, wie er stolz in der Reihe seiner Kollegen saß, die letzte Aufnahme von ihm, bevor er so gewaltsam auf der Straße umgekommen war. Die Art, wie Fry mit dem weichen Tuch über das Bild strich, bedeutete Cooper mehr als alles, was sie hätte sagen können.
    Angesichts ihrer instinktiven Ehrfurcht spürte er einen beunruhigenden Kloß im Hals. Er wünschte, sie würde damit aufhören und ihren verdammten Kaffee trinken. Er hielt ihr den Becher hin und zwang sie damit, das Tuch wegzulegen. Ein paar Sekunden lang fiel ihm nichts ein, was er hätte sagen können, bis ihm seine Stimmbänder wieder gehorchten.
    »Wo wolltest du denn gerade hin?«, erkundigte er sich schließlich.
    Beim heiseren Klang seiner Stimme sah ihn Fry verblüfft an.
    »Na ja, ich bin nicht immer im Dienst. Ich habe auch ein Privatleben.«
    »Aha.«
    Aus der Küche kam ein leises Geräusch, eine Art fragendes Gurren. Cooper drehte sich um und sah ein breites, schwarzes Gesicht und ein gelbes Auge, das Fry erwartungsvoll anblickte.
    »Was um alles in der Welt ist das denn?«, fragte sie.
    »Das ist Randy«, sagte Cooper. »Er gehört sozusagen zur Einrichtung.«
    Frys Blick wanderte von Cooper zurück zu der Katze, die jedoch beschlossen hatte, vorerst auf Distanz zu bleiben.
    »Das ist wieder mal typisch«, sagte Fry. »Nur du kommst auf die Idee, eine Wohnung inklusive eines vagabundierenden Untermieters zu nehmen.«
    Danach schienen sie plötzlich keinen Gesprächsstoff mehr zu finden. Fry schaute zum Fenster, woraus Cooper schloss, dass sie sich auf den Weg machen wollte. Sie hatte ihren Auftritt gehabt, ihre Pflicht erfüllt, jetzt war sie bereit, sich wichtigeren Aufgaben zuzuwenden. Sie ging langsam zur Tür, wo sie stehen blieb und etwas aus der Tasche zog. Es war ein kleiner, in blaues Papier gewickelter Gegenstand.
    »Wie du weißt, mag ich dich nicht besonders«, sagte sie. »Aber ich habe dir trotzdem was mitgebracht.«
    »Danke.«
    Cooper nahm das Päckchen und wog es in der Hand. Es war schwer für seine Größe. Er fing an, an dem Klebeband zu zupfen.
    »Du musst es nicht gleich aufmachen«, sagte Fry und schlang sich ihren Schal um den Hals. »Wie ich sehe, hast du hier noch einiges zu tun.«
    »Allerdings.«
    »Dann bis Montag.«
    Cooper sah ihr nach, wie sie die Welbeck Street entlangschlitterte. Offenbar hatte sie ihren Wagen unten an der Straße stehen lassen. Schon bald war sie außer Sichtweite. Cooper war aufgefallen, dass sie neue Schuhe angehabt hatte, und er fragte sich, ob sie welche mit rutschfestem Profil gewählt hatte.
    Er ging zurück ins Wohnzimmer und öffnete das kleine Päckchen. Sie hatte ihm eine Uhr gekauft.
     
    Cooper dachte an die Vorteile des Alleinlebens. Er freute sich darauf, sonntagmorgens die gesammelten Wiederholungen der alten Archers -Folgen im Radio zu hören, ohne ständig von Videos oder Popmusik oder Kinderfernsehen gestört zu werden. Und da er ganz allein war, musste er sich an seinen freien Tagen noch nicht einmal anziehen oder rasieren. Solange er nicht aus dem Haus ging, konnte er im Bademantel oder einer alten Trainingshose herumlungern. Er konnte den ganzen Vormittag am Küchentisch Kaffee trinken, Toast essen und Zeitung lesen, wenn ihm danach war. Das heißt, falls er daran gedacht hatte, irgendwelche Zeitungen zu abonnieren. Im Augenblick blieb ihm nichts anderes übrig, als beim Kaffeetrinken und Toastessen die Katze anzuschauen. Vielleicht sollte er die Bücherkiste auspacken, die er mitgebracht hatte.
    Schließlich kam er darauf, weshalb seine Gedanken so in seinem Kopf herumwirbelten. Er führte stumme Selbstgespräche, um die Stille im Haus zu überspielen. Er hatte noch nie in einem stillen Haus gelebt und bekam nun eine Ahnung davon, wie bedrückend, wie trostlos, ja wie erschreckend es sein würde, jeden Abend in eine leere Wohnung zu kommen. Jeden Abend würde die Post dort auf der Matte liegen, wo sie am Vormittag durch den Briefschlitz hereingefallen war; eine einzelne, ungespülte Kaffeetasse würde noch immer an der Stelle in der Spüle stehen, wo er sie am Morgen eilig abgestellt hatte; das Haus würde ihm vorkommen, als hätte es den ganzen Tag ein Eigenleben geführt, so dass seine Anwesenheit überflüssig, vielleicht sogar unerwünscht war. Und das sollte in Zukunft sein Zuhause sein?
    Dieser erste Vorgeschmack auf die Einsamkeit kam

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