Kaltes Grab
Tauben spazierten auf und ab und pickten in den Überbleibseln des Markttags, der am Vortag stattgefunden hatte. Ein Mann in einer gelben Windjacke stand vor dem Kriegerdenkmal in der Mitte des Platzes, als hätte er keinen anderen Ort, an den er gehen konnte. Vielleicht stimmte das ja auch. Auch Edendale hatte seinen Anteil an Obdachlosen, von denen einige diesen Winter nicht überleben würden.
Cooper war an der Einmündung zur Nible John's Gate angekommen, wo eine kleine Fußgängerbrücke über den Fluss ging, bevor die Straße sich in Nick i' th' Tor und Rock Terrace gabelte. In der Nähe der Brücke war neues Pflaster verlegt worden, trotzdem fielen die schmalen Durchgänge nach wie vor unangenehm steil zum Fluss hinunter ab. Tiefer Schnee lag links und rechts an den Mauern, und da niemand auf die Idee gekommen war, Straßenlaternen in den Passagen aufzustellen, lagen sie nun zwischen den hohen Gebäuden in tiefer Dunkelheit. Unter Cooper tobte und toste der River Eden durch die schmale Rinne zwischen den gemauerten Ufern. Auf der Brücke war das Rauschen des Wassers fast ohrenbetäubend.
An der Ecke Nick i' th' Tor zögerte Cooper, weil er glaubte, weiter vorn eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Aber es war nur der Schnee, der schmolz und von den Dachrinnen des alten Kinos tropfte. Die Tropfen ließen Kreise in den Pfützen entstehen, die sich bereits zwischen den Pflastersteinen gebildet hatten. Das einzige Licht in der Passage kam von den Straßenlaternen auf dem Marktplatz hinter ihm und wurde von den Pfützen und den schmutzig grauen Schneefeldern reflektiert. Cooper hatte noch nie Bedenken gehabt, sich in Edendale frei zu bewegen, obwohl er wusste, dass manche Frauen automatisch im Geiste eine Checkliste durchgingen, bevor sie sich zu einem nächtlichen Fußmarsch aufmachten: War ihre Handtasche sicher, war die Straße gut beleuchtet, sollte sie nicht doch lieber ein Taxi nehmen, konnte sie in diesen Schuhen notfalls einigermaßen gut laufen?
Ein Geräusch veranlasste ihn, sich umzudrehen. Am anderen Ende der Passage sah er eine bekannte Gestalt vor den Lichtern des Marktplatzes vorübergehen. Es war ein Mann in einem langen Mantel, der wie ein Armeemantel aussah. Eddie Kemp? Als hätte er seinen Namen gehört, blieb der Mann an der Einmündung einer Gasse stehen und wandte den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde hätte Cooper fast seinen Blick erhascht. Im Schein der Laternen sah er eine Wollmütze. Er war sich so sicher, dass er beinahe den Geruch wahrnahm.
Als die Gestalt weiterging, machte Cooper einen Schritt auf sie zu, ehe er wieder stehen blieb. Er erinnerte sich an den Fehler, den er begangen hatte, als er Eddie Kemp das erste Mal in der Hollowgate festgenommen hatte. Es wäre ein Fehler zu glauben, dass Kemp allein war und sich so ohne weiteres festnehmen ließ. Cooper zog sein Funkgerät heraus und bat in der Zentrale um Verstärkung. Dann ging er vorsichtig bis zum
Ende der Gasse und schob sich um die Ecke. Keine Spur von Kemp.
Cooper spähte in die Hauseingänge zu beiden Seiten. Hier gab es nicht mehr viele Geschäfte - Woolworth's und W. H. Smiths waren in das Einkaufszentrum an der Clappergate umgezogen, so dass am Marktplatz mittlerweile hauptsächlich Banken und Bausparkassen, Immobilienhändler und Pubs ihren Sitz hatten. Ferris' Metzgerei sah allmählich wie ein Relikt aus grauer Vorzeit aus. Vorsichtig überprüfte Cooper die Eingänge der Barclays Bank und der Landesbausparkasse. Nichts. Als die Rathausuhr anfing, sieben zu schlagen, schreckte er zusammen. Die Glocke hallte überlaut auf dem leeren Platz, und die Schläge wurden von den hohen Gebäuden zurückgeworfen. Die Tauben flogen davon und flatterten um den Platz, bevor sie wieder landeten und ihre Futtersuche fortsetzten.
Cooper blieb stehen und wartete, bis die Uhr zu Ende geschlagen hatte. Er lauschte auf den Klang von Schritten, hörte aber nur einen Bus, der in die High Street einbog und dort anhielt. Er sah die vier Frauen mit ihren Einkaufstaschen einsteigen. Gleich neben der Barclays Bank war der Red Lion Pub. Die Lichter brannten zwar, aber er hatte eben erst aufgemacht, und Cooper sah noch keine Gäste. Trotzdem beschloss er, einen Blick hineinzuwerfen. Auf großen Videobildschirmen lief MTV. Die Frau hinter dem Tresen schüttelte den Kopf, als er sich nach einem Mann in einem Armeemantel und einer Mütze mit Fellohrenklappen erkundigte.
Folglich musste Kemp bis zur High Street gegangen sein. Von dort
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