Kaltes Grab
Lawrence. »Manchmal verkaufe ich Bücher zu dem Thema, aber ich glaube, zurzeit habe ich nichts da. Meine letzten Bestände habe ich vor ein paar Tagen verkauft. Sie verschwenden nur Ihre Zeit.«
»Das glaube ich nicht.«
Morrissey zog die Hand aus der Tasche und wickelte vorsichtig das Päckchen aus, das sie schon Ben Cooper gezeigt hatte. Die Medaille fing das Licht aus dem Treppenhaus ein und glitzerte, so dass Lawrence sehen konnte, worum es sich handelte.
»Deshalb bin ich hier«, sagte sie.
Lawrence nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. Doch im düsteren Licht war nicht zu erkennen, ob aus Müdigkeit oder vor plötzlicher Ergriffenheit. »Damit habe ich nichts zu tun«, sagte er.
»Ob die Polizei wohl derselben Meinung ist?«
»Ich mache keine illegalen Geschäfte.«
»Dann würde es Ihnen also nichts ausmachen, wenn die Polizei mal vorbeischaute?«
»Zufällig kenne ich einen der hiesigen Kriminalbeamten persönlich.«
»Detective Cooper? Er hat mir Ihr Geschäft genannt. Und er ist sehr interessiert an dieser Medaille.«
Lawrences Schultern schienen zusammenzusacken. »Das ist unfair«, sagte er.
Morrissey hielt ihm die Medaille unter die Nase wie ein Amulett, das böse Geister vertreiben soll. »Meinen Sie etwa, es sei fair mir gegenüber? Meiner Familie gegenüber? Fair gegenüber der Erinnerung an meinen Großvater?«
»Kommen Sie mit nach oben«, lenkte Lawrence schließlich ein.
Bevor er Alison Morrissey zur Treppe führte, warf Lawrence einen letzten Blick nach draußen in die dunkle Gasse. Er fragte sich, wer sich sonst noch dort draußen herumtrieb und sein Leben durcheinander bringen wollte.
Im Büro in der West Street stellte Diane Fry fest, dass die Akte Marie Tennent immer noch auf Ben Coopers Schreibtisch lag. Es war erst vier Tage her, dass Marie am Irontongue Hill gefunden wurde, aber es hätten ebenso gut schon Wochen sein können. Fry wusste, dass mehrere Suchtrupps in der Dam Street gewesen waren. Überall hingen Steckbriefe, und auch die Zeitungen hatten Aufrufe veröffentlicht, in denen um Hinweise nach Chloe gebeten wurde. Aber Fry war so sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, dass sie nicht mehr mitbekommen hatte, was den ganzen Tag über passiert war.
In der Akte Tennent lag der Bericht eines Sergeanten, in dem stand, Maries Haus sei noch einmal durchsucht und der Schnee aus dem hinteren Garten weggeräumt worden, man habe jedoch keinerlei Anzeichen für kürzlich erfolgte Grabungen in dem festgefrorenen Boden feststellen können. Noch immer kein Hinweis auf das Baby. Die Suche war immer weiter ausgedehnt worden und müsste sich inzwischen auch auf den alten Mühlteich erstreckt haben. Auch das Gebiet um die Stelle am Berghang, wo Marie gefunden wurde, war gründlich durchkämmt worden.
Und was Marie selbst anging, mussten sie immer noch auf den Autopsiebericht warten, bevor eine Fahndung angeordnet werden konnte.
Dann bemerkte Fry die Faxe auf Ben Coopers Schreibtisch. Sie quollen aus dem alten Gerät, das noch mit Thermopapier arbeitete, so dass sich die Blätter zu einer dicken Rolle verschlungen hatten. Sie sah, dass die Faxe aus Kanada kamen und mit Alison Morrissey zu tun hatten. Am obersten Blatt klebte außerdem ein gelber Haftzettel. »Alison anrufen«, stand darauf. Fry versuchte es unter der angegebenen Telefonnummer, und eine Stimme sagte: »Cavendish Hotel, guten Abend.«
»Wohnt bei Ihnen eine Miss Alison Morrissey?«, fragte Fry.
»Ja. Soll ich nachsehen, ob sie im Hause ist?«
»Nein, vielen Dank.«
Sie legte auf. Jetzt bestand kein Zweifel mehr daran, was Ben Cooper in letzter Zeit so beschäftigte. Der Superintendent selbst hatte ihm erklärt, dass im Moment keine Möglichkeit bestand, Alison Morrissey bei ihrer hoffnungslosen Suche zu unterstützen. Aber für Cooper stellte offensichtlich alles, was hoffnungslos war, eine Herausforderung dar. Fry rief sich die Frau in Erinnerung, die sie im Fernsehen gesehen hatte - dieselbe Frau, die tags darauf mit Cooper in der Underbank geplaudert hatte. »Alison anrufen«, lautete die Nachricht. Anscheinend beschäftigte Cooper noch etwas ganz anderes.
Vorsichtig klebte Fry die Nachricht wieder auf die zusammengerollten Faxe. Sie musste endlich ernsthaft darüber nachdenken, was sie in dieser Angelegenheit unternehmen sollte.
Als sie sich wieder Marie Tennents Akte zuwandte, fiel ihr auf, dass inzwischen die Kopien der Berichte zur Leiche des Säuglings hinzugefügt worden waren. Sie überflog
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