Kaltes Grab
durchtrainierter als die meisten ihrer Kollegen, würde also keine Probleme mit der Wanderung durch das Hochmoor bis zur Absturzstelle haben.
»Was für ein herrlicher Tag für einen tüchtigen Spaziergang«, meinte Sergeant Caudwell gut gelaunt. »Wie lange werden wir wohl brauchen?«
»Ungefähr eine Dreiviertelstunde, wenn wir uns einigermaßen beeilen.«
»Dann dürfen wir also nicht herumtrödeln, was?«
»Sind Sie bereit?«
»Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Ich bin wie ein Kamel. Ich gewinne zwar keine Schönheitspreise, kann aber stundenlang laufen.«
Der Aufstieg zum Irontongue Hill war an diesem kalten, klaren Morgen sehr erfrischend. Der Himmel war blau und wolkenlos, und die Landschaft mit ihren verführerisch glitzernden Schneeflächen sah unberührt aus.
Aber Cooper wusste, wie rasch das Wetter umschlagen konnte. Wenn sich die Wolken auf die Gipfel senkten, konnten sie mitten im Hochmoor in einem Schneesturm stecken bleiben, bevor sie auch nur die Hälfte des Rückweges hinter sich gebracht hatten.
Sie stapften über das gefrorene Heidekraut, kämpften gegen einen beständigen Ostwind an, der kleine Pulverschneewirbel aufsteigen ließ. In den tieferen Lagen sah der Schnee wie Schlagsahne aus, ragte wie die gewellten Kanten eines Tischtuchs über einen Abgrund, während ein Stück weiter unten ein kleiner Bach unter einer dünnen Eishaut vor sich hin gurgelte.
Cooper sah, dass schon jemand hier entlanggekommen war, aber nicht heute. Feiner Schnee lag in den Fußstapfen. In der Ferne keckerten Birkhühner, und von der anderen Seite des Gipfels ertönte aus weiter Ferne eine menschliche Stimme.
Als sie den trigonometrischen Punkt des Irontongue Hill erreicht hatten, an dem ein Steinhaufen den Gipfel markierte, legten sie eine kurze Verschnaufpause ein. Auf der einen Seite fiel die nackte Felswand bis hinunter zum Snake steil ab, während auf der gegenüberliegenden Seite eines schmalen Tals die nächste Steinfläche zutage trat. Das war High Shelf, wo die Trümmer der amerikanischen Fliegenden Festung lagen.
»Was für ein Job!«, sagte Caudwell. »Und Sie beschweren sich, Sie hätten nicht genügend Personal!«
Liz Petty hatte auf dem ganzen Weg kaum ein Wort gesprochen. Jetzt setzte sie ihren Koffer ab und genoss die Aussicht.
»Tage wie dieser entschädigen einen für die schlechte Bezahlung«, sagte sie. Cooper lächelte sie an.
»Mir kommen gleich die Tränen«, spottete Caudwell.
Jenseits des High Shelf sah man in der Ferne Glossop liegen. Die Berghänge fielen unterhalb des Dark Peak sanfter ab und bildeten tief unter ihnen eine Senke, in der das Städtchen lag, eingebettet in die Überreste der Textilspinnereien, die einst sein bedeutendster Industriezweig gewesen waren. Inzwischen schien Glossop aus seiner Umgebung herausgewachsen zu sein, wie eines jener komplexen Ökosysteme, die sich ganz von selbst in einer kleinen Pfütze bilden, wenn man ihnen nur genug Zeit dazu lässt.
Doch nicht weit hinter Glossop sah Cooper nichts als eine graue Wand, die aussah, als wäre hinter ihr die Welt zu Ende. Der Anblick erinnerte ihn an die Szene aus einem Horror-Roman, den er einmal gelesen hatte, in dem eine amerikanische Kleinstadt durch einen feindseligen Nebel vom Rest des Landes abgeschnitten wurde, in dem grässliche Monster lauerten. Aber er wusste, dass unterhalb der schmutzigen Decke, die er dort in der Ferne sah, keine Monster waren. Dort lauerte nur der Moloch Manchester.
An einem warmen Sommertag sahen die weißen, turmartigen Wohnblocks im Stadtzentrum wie die Zinnen einer Märchenstadt oder wie eine schimmernde Fata Morgana in der Ebene aus. An diesem Morgen hingegen präsentierte das kompromisslos klare Winterlicht jedes Atom der Verschmutzung, das über der Stadt hing, jeden Rußwirbel aus einem Fabrikschornstein, jeden Auspuffstoß des Verkehrs, der die Straßen verstopfte. Ohne die warmen Aufwinde, die ihn von der Stadt weghoben, sammelte sich der Smog und wurde immer dicker, bis er so wie jetzt wie eine gewaltige graue Ratte zusammengerollt in ihrem Nest über der Stadt lag. Cooper schauderte. Es wäre für jeden Großstadtbewohner eine heilsame Erfahrung, wenigstens einmal an einem Tag wie diesem zum High Shelf heraufzukommen und sich die Stadt aus der Vogelperspektive anzusehen. Kaum einer würde sich danach noch trauen zu atmen.
Liz Petty kehrte der Aussicht den Rücken und sah ihn nachdenklich an.
»Man kann sich nur schwer vorstellen, wie die Piloten hier eine
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