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Kaltes Grab

Titel: Kaltes Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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verstohlen und schluckte. Als er den Mund aufmachte, glaubte Fry kleine Schokoladenstückchen in seiner Atemwolke zu erkennen, eine Art süßlichen Nebel, der sich in der eisigen Luft auflöste. »Ich glaube, ich hab’s, Sir«, sagte er.
    »Was denn, Gavin?«
    »Der Schneepflugfahrer ist ein Vampir. Er hat dem Toten das ganze Blut ausgesaugt, bis zum letzten Tropfen.«
    Fry wandte sich ab, damit die beiden ihr Gesicht nicht sehen konnten. Sie spürte, wie ihr Missmut in Wut umschlug, und musste erst ein paarmal durchatmen, bevor sie sich wieder im Griff hatte. Am liebsten hätte sie Murfin eine Ohrfeige verpasst, was jedoch in Gegenwart des Inspectors schlecht möglich war. Am schlimmsten war, dass sie Murfin noch für die Dauer der gesamten Untersuchung am Hals hatte.
    »Tja«, meinte Hitchens. »Unser erster Vampir in der Dienststelle Edendale. Damit dürfte der Papierkram ziemlich knifflig werden, Gavin. Ich glaube, für so was haben wir nicht mal ein Formular.«
    Murfin grinste. Seine Lippen setzten sich wieder in Bewegung, und er klopfte seine Taschen nach Nachschub ab – ein Snickers, eine Tüte Bonbons, irgendetwas würde sich garantiert finden. Fry sah ihm an, was in ihm vorging. Sein Hirn kämpfte mit einer schwierigen Herausforderung, die jedoch nichts mit der Aufklärung eines Verbrechens zu tun hatte.
    »So hat eben jeder sein Kreuz zu tragen, Sir«, sagte er.
    Mrs Van Doon drehte sich um. Das Geschwätz lenkte sie ab. »Falls es Sie interessiert: Das Herz dieses Mannes hat schon lange vorher aufgehört zu schlagen«, sagte sie. »Keine Herztätigkeit bedeutet: kein Blut. Ihre Leiche hier war schon tot, als der Schneepflug sie erwischt hat.«
    Die Gerichtsmedizinerin packte ihre Sachen zusammen. Am liebsten hätte Fry ihr geholfen und wäre mit ihr weggefahren, um weg von diesem Ort und ihren Kollegen und in eine schöne, warme Leichenhalle zu kommen, in eine friedlichere Gesellschaft, wo es keine blöden Witze und auch keine Krabbenchips auf dem Boden ihres Wagens gab. Mrs Van Doon sah müde aus. Wie alle anderen war auch sie in letzter Zeit völlig überarbeitet.
    Fry streckte sich ein letztes Mal, atmete tief ein und aus und spürte, wie ihr Körper infolge der zusätzlichen Sauerstoffzufuhr zu kribbeln anfing.
    »Ich weiß nicht recht«, meinte Murfin. »Mir persönlich gefällt die Vampir-Theorie besser.«
    »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen«, sagte die Gerichtsmedizinerin, »ich glaube, ich bin hier vorläufig fertig.«
    Fry musste einen Schritt zurücktreten, so dass sie an ihr vorbeigehen konnte. Sie suchte ihren Blick, um sie wissen zu lassen, dass sie mit ihr fühlte, doch die Frau hielt den Kopf gesenkt und sah nicht einmal auf. Um die Augen herum hatte sie Müdigkeitsfalten und darunter dunkle Ringe. Fry musste unwillkürlich daran denken, dass es in der Zentrale hieß, Stewart Tailby, ihr alter Chief Inspector, sei privat an Juliana Van Doon interessiert gewesen, es sei aber nichts daraus geworden. Tailby würde bald zu einem Verwaltungsjob in Ripley wechseln. Mrs Van Doon sah jedenfalls aus, als hätte sie in ihrem Leben bereits zu viele Leichen gesehen.
    »Wissen Sie, ich kenne nämlich den Kerl, der den Schneepflug gefahren hat«, verkündete Murfin. »Ehrlich gesagt habe ich ihn noch nie bei Tageslicht gesehen.«
    Die Gerichtsmedizinerin ging zu ihrem Wagen und schälte sich aus ihrem Overall. Fry hob Mrs Van Doons Tasche auf und wartete einen Augenblick, bis sie die Hand ausstreckte und sie ihr abnahm. Ihre Blicke trafen sich, doch keine der beiden Frauen sagte etwas.
    »Was meinen Sie, Doc? Sollen wir ihm eine Blutprobe entnehmen?«, rief Murfin. »Ich meine, nicht dem Toten, sondern sozusagen dem Untoten. Vielleicht bekommen wir ja über die DNS-Analyse ein Spiegelbild.«
    Murfin stieß ein bellendes Lachen aus, das sich an den Schneewänden zu beiden Seiten brach und kleine Lawinen auslöste, die auf die Straße rieselten. Mrs Van Doon streifte ihre Überschuhe ab, verstaute ihre Ausrüstung im Kofferraum ihres Wagens und fuhr grußlos davon, wobei sie derart beschleunigte, dass sich ein Schwall Eismatsch über Murfins Fellstiefel ergoss.
    »Hab ich was Falsches gesagt?«, erkundigte sich Murfin.
    »Blödsinn«, meinte Hitchens, »Sie haben bloß wieder mal Knoblauch gefrühstückt.«
    Als Ben Cooper die Diensträume der Kripo betrat, fand er sie eiskalt und verlassen vor. Offensichtlich hatten die Heizkörper in diesem Stockwerk mal wieder den Geist aufgegeben. Es roch nach

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