Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kaltes Grab

Titel: Kaltes Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
Vom Netzwerk:
Haftzettel. Hinter der Tür hing ein roter Mantel an einem Haken, unter dem Tisch stand ein Paar Schuhe, und auf dem Boden lag ein Postpaket mit Büchern, das aber noch nicht ausgepackt war.
    Cooper blieb stehen und versuchte, die ersten Eindrücke auf sich wirken zu lassen. Irgendetwas schien nicht zu passen. In einem offensichtlich leeren Haus fiel jedes unpassende Geräusch sofort auf. Aber er hatte kein Geräusch gehört. Er wandte prüfend den Kopf, schnüffelte nach Gas- oder Brandgeruch oder nach dem Gestank von Tod und Zersetzung. Aber er bemerkte nichts, was seine Alarmglocken normalerweise zum Schrillen gebracht hätte. Im Flur hing lediglich ein flüchtiger Duft, der sich ihm sofort wieder entzog, bevor er ihn einordnen konnte. Er war nicht sicher, aus welcher Richtung er kam. Möglicherweise war es ein Rest Raumspray oder ein Hauch kürzlich benutzten Desinfektionsmittels.
    Es war kalt im Flur, aber nicht kälter als in jedem anderen Haus, das seit Tagen unbewohnt war. Vermutlich gab es in den Cottages keine Zentralheizung. Und wenn doch, dann war bestimmt eine Zeituhr eingestellt, um Gas zu sparen. In diesem Fall war jetzt eine Tageszeit, zu der Marie normalerweise nicht zu Hause war, was wiederum bedeuten könnte, dass sie einer geregelten Arbeit nachging.
    Cooper blieb reglos stehen und lauschte. Irgendwo tickte eine Uhr. Eines der übelsten Geräusche, die es gab: das Ticken einer Uhr in einem leeren Haus, dessen Bewohner verstorben war. Es erinnerte einen daran, dass sich die Welt, wenn man tot war, einfach weiterdrehte, dass der Sekundenzeiger nicht einmal kurz innehielt, wenn man vom Leben zum Tod überwechselte. Das Geräusch löste stets eine Urangst aus – das Wissen, dass die Zeit unaufhaltsam verrann, dass deine Uhr bis zu deinem Tod unerschütterlich ablief.
    Die Uhr eines Menschen sollte bei seinem Tod stehen bleiben. Cooper wusste, dass dieser Wunsch völlig irrational war und aus einem tiefen Aberglauben herrührte. Trotzdem wäre er am liebsten auf einen Küchenstuhl gestiegen und hätte die Batterie aus der Uhr genommen oder ihr Gegengewicht abgenommen, um die Zeiger zum Stillstand zu bringen. Er wollte sich in Gegenwart des Todes stummen Respekt ausbitten. Aber er tat es nicht. Stattdessen ließ er es zu, dass ihn das Ticken durch das ganze Haus verfolgte, von einem Zimmer zum anderen, dass es ihn verhöhnte wie das Kichern eines bösartigen Spielzeugs.
    Die erste Tür, die vom Flur abging, führte ins Wohnzimmer. Cooper ging zum Kamin und betrachtete die Gegenstände auf dem Sims. Eine neuere Gasrechnung steckte hinter einer gesprungenen chinesischen Schale mit Weidenmotiv, daneben ein Kassenbon vom Supermarkt. Er wandte sich dem ausziehbaren Mahagoni-Esstisch in der Ecke zu, auf dem eine Glasvase mit einem Trockenblumenstrauß auf einer Bastmatte stand. Nirgendwo ein Abschiedsbrief.
    In dem Zimmer stand außerdem ein mit Konto- und Kreditkartenauszügen, Briefen und alten Fotos übersäter Schreibtisch. Cooper suchte vorsichtig ein paar Briefe jüngeren Datums heraus, um Namen von Marie Tennents engeren Bekannten zu finden. Keine Adresse war aus der Gegend, keiner der Namen hörte sich an, als gehörte er zu einem Lebensgefährten. Einer hieß John und schien ein Verwandter zu sein, der an der Universität Glasgow studierte.
    Dann sah er, dass auf einem ansonsten unbenutzten Rost hinter der Gasflamme Papier verbrannt worden war. Er ging in die Hocke, um es sich näher anzusehen, und stellte bereits erste Spekulationen an, warum Marie Tennent einen Abschiedsbrief geschrieben und dann verbrannt hatte … oder ob ihn jemand anders für sie verbrannt hatte. Doch aus der Nähe sah er, dass es sich keineswegs um einen Abschiedsbrief handelte. Der Brief besagte, dass Marie Tennent, wohnhaft in Edendale, Dam Street 10, zum ausgewählten Kreis der Gewinner von 250000 Pfund in bar gehöre. Sie wurde aufgefordert mitzuteilen, in welcher Form sie das Geld zu erhalten wünsche. Außerdem enthielt der Brief Vorschläge, wie sie es am besten anlegte: ein neues Auto, Urlaub in der Karibik, ein Traumhaus auf dem Land. Cooper stieß den Brief leicht an, worauf das geschwärzte Papier zerfiel. Wenn man ohnehin schon verzweifelt war, reichte der Zynismus derartigen Werbemülls womöglich aus, einem den Rest zu geben.
    Cooper hob sämtliche Kissen auf dem Sofa und den beiden Sesseln hoch. Er fand drei Kugelschreiber, eine Hand voll Kleingeld und ein Quietschspielzeug für Hunde in Form eines Knochens.

Weitere Kostenlose Bücher