Kaltes Grab
Zeit.«
»Nein, ich gehe auf jeden Fall noch bei ihr vorbei.« Cooper sah auf das schwarze Brett. »Wie ich sehe, haben Sie den Zettel abgenommen.«
»Ja. Wahrscheinlich ist die Wohnung inzwischen längst vermietet.«
»Wirklich?«
»Keine Ahnung.« Lawrence beugte sich so weit über den Ladentisch, dass Cooper ihn kaum verstand.
»Wie bitte?«
»Ich dachte nur, der Zettel ist schon so ausgeblichen.«
»Ich kann es ja trotzdem noch versuchen. Ich gehe gleich heute Abend in die Welbeck Street.«
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wusste Cooper, dass er sich damit verpflichtet hatte. Wenn die Wohnung auch nur halbwegs bewohnbar war, würde er keinen Grund finden, sie nicht zu nehmen, jedenfalls nicht ohne langwierige und unglaubwürdige Erklärungen.
Er verabschiedete sich von dem Buchhändler, der immer noch mit seinem Brillenglas beschäftigt war. Vor dem Ladentisch sah er eine Reihe illustrierter Romane von Thomas Hardy liegen: Fern der rasenden Menge, Die Liebe der Fancy Day, Juda der Unberühmte. Als Teenager hatte er Thomas Hardy immer gemocht. Juda war eins der Bücher in seinem Leistungskurs gewesen, und die anderen hatte er eins nach dem anderen verschlungen und sich in die Beschwörung einer vergangenen, aber doch vertrauten Welt hineinziehen lassen. Diese Ausgabe war mit Goldschnitt und bunten Illustrationen ausgestattet, steckte in einem Pappschuber und war mit 45 Pfund ausgezeichnet. Cooper fragte sich, was Lawrence Daley daran wohl verdiente. Vorausgesetzt natürlich, dass er sie jemals verkaufte.
Als Ben Cooper vor dem Haus in der Welbeck Street stand, war es seit über einer Stunde dunkel. Es lag gegenüber vom Dam-Street-Viertel, in dem Marie Tennent gewohnt hatte, am anderen Flussufer. Wären nicht die Häuser auf der anderen Straßenseite gewesen, hätte er das Dach des Heimatmuseums in der alten Seidenspinnerei sehen können.
Dorothy Shelley stand in der Diele der Parterrewohnung von Nummer 8 und musterte ihn von oben bis unten. Die schlanke Frau trug eine Kaschmir-Strickjacke und hatte sich eine zweite über die Schultern geworfen. Die Strickjacken waren an den Rändern ein wenig abgenutzt und verliehen ihr einen Hauch von heruntergekommenem Adel, der echt sein konnte, aber ebenso gut nur ein Image, das sie bewusst hervorrief. Cooper gefiel die Wohnung, die das gesamte Erdgeschoss der Doppelhaushälfte einnahm, auf Anhieb. Sie war solide und geschmackvoll renoviert, mit kleinen Schönheitsfehlern wie einer Fachwerkwand hier und einer Kunststoffverkleidung da.
»Was ist denn in der Miete enthalten?«, erkundigte er sich. »Wie sieht es mit Gemeindesteuer und Wassergeld aus?«
»Haben Sie etwas gegen Katzen?«, fragte Mrs Shelley.
»Nein, überhaupt nicht. Wir hatten immer mehrere zu Hause. Na ja, es waren eigentlich eher Bauernhofkatzen. Sie sollten draußen sein, aber sie haben sich genauso oft im Haus wie in den Ställen herumgetrieben.«
»Das ist schön«, sagte Mrs Shelley. »Ich habe nämlich eine kleine Untermieterin.«
»Ach ja?«
»Sie wohnt im Wintergarten und geht nur in den Garten, wenn sie ihr Geschäft erledigen muss. Sonst ist sie ganz friedlich.«
»Sie meinen, Sie haben eine Katze? Das geht schon in Ordnung, solange die Zentralheizung funktioniert und es nicht allzu feucht ist. Wer kümmert sich um die Wartung?«
»Ich habe sie Miranda genannt«, erklärte Mrs Shelley. »Sie ist eine Streunerin, aber sie scheint sich für eine Weile bei mir niedergelassen zu haben. Freut mich, dass es Ihnen nichts ausmacht, denn ich könnte sie nicht hinauswerfen. Jetzt schon gar nicht.«
»Also, in dieser Hinsicht bekommen wir bestimmt keine Schwierigkeiten. Läuft der Strom über einen Münzzähler? Oder bekomme ich eine gesonderte Rechnung? Mir würde eine ungefähre Angabe der laufenden Kosten reichen, damit ich überschlagen kann, ob ich mir die Wohnung leisten kann.«
»Um ehrlich zu sein, mache ich mir ein bisschen Sorgen um Miranda«, fuhr sie fort.
»Wieso denn?«
»Ich weiß, sie ist nur eine Straßenkatze, aber ich habe sie aufgenommen, weil ich gesehen habe, dass sie schwanger ist. Ich konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, dass sie ihre Babys draußen in Schnee und Eis bekommt.«
Cooper öffnete eine Schranktür, in der Hoffnung, dahinter den Stromzähler zu finden. Doch der Schrank war voller Putzmittel und leerer Schachteln.
»Deshalb habe ich sie in den Wintergarten gebracht und ihr dort ein kleines Lager bereitet«, erzählte Mrs Shelley.
Cooper
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