Kaltes Herz
das Gesicht zur Wand, damit das Licht aus dem Gang nicht so blendete. Er brauchte einen Plan. Jetzt.
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23
H einz Graf hatte den Wagen voller Schmutzwäsche, seit gestern war eine komplette Ladung hinzugekommen. Es war notwendig, dass die Wäsche bald gewaschen, am besten richtig gekocht wurde, weil das Blut des Mädchens auf einigen der Säcke war. Er war übermüdet, hatte in der Nacht schlecht geschlafen, erinnerte sich mit Schaudern daran, wie schwer der Körper des Mädchens gewesen war, wie leblos und bleich er ausgesehen hatte. Und sie hatte wirklich geblutet, er hatte gar nicht gewusst, wie stark das beim ersten Mal bluten konnte. Hoffentlich hatte er keine Spuren hinterlassen, als er sie ins Unterholz getragen und mit Laub und loser Erde bedeckt hatte. Heute hatte er einen Spaten und zur Sicherheit auch eine Spitzhacke eingepackt, falls viele Steine im Boden waren. Als er dem Feldweg näher kam, war er versucht, gleich wieder einzubiegen und das Notwendige zu erledigen. Nicht auszudenken, wenn jemand sie fand, bevor er sie richtig eingegraben hatte.
Heinz schüttelte den Kopf. Nein. Es wäre zu auffällig, wenn er verschwitzt, voller Erde und möglicherweise Stunden zu spät bei den Pflogs auftauchte. Zuerst die Arbeit. Und es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen, er hatte sie gut versteckt. Dennoch wurde Heinz’ Automobil langsamer. Es war beinahe dunkel gewesen gestern, und jetzt war es taghell. Vielleicht sollte er zumindest nach ihr sehen, sich vergewissern? Entschlossen schüttelte Heinz den Kopf und beschleunigte, als er an dem Feldweg vorbeifuhr, in den er gestern eingebogen war, um sich seinen Lohn von dem Mädchen zu nehmen. Es gab keinen Grund anzuhalten. Henriette Keller war fortgelaufen, zum Beweis hingen die Bettlaken aus ihrem Fenster. Niemand würde Verdacht schöpfen, er hatte genügend Zeit. Andererseits konnte vielleicht gerade das heißen, dass man bereits nach ihr suchte … Heinz fluchte und beschleunigte, er musste einfach zusehen, dass er es hinter sich brachte. Das Automobil erreichte fast zweiundfünfzig Stundenkilometer. Ein neuer Rekord!
Als Heinz bei den Pflogs ankam, hingen Henriette Kellers Bettlaken noch immer aus dem geöffneten Fenster. Entweder hatte bisher niemand ihre Flucht bemerkt, oder es scherte niemanden, dass es hineinregnete. Beide Möglichkeiten erschienen ihm merkwürdig. Im Gegensatz zu gestern war heute das Tor jedoch geöffnet. Heinz fuhr den Wagen auf den Hof, direkt vors Waschhaus, sprang vom Fahrersitz und öffnete den Laderaum, um schnell die Säcke hineinzubringen. Immerhin hatte er heute die doppelte Portion dabei.
«Die kannst du gleich wieder einpacken», rief jemand hinter ihm.
Das war Katharina. Sie hatte ein Küchenfenster geöffnet.
«Guten Morgen», rief Heinz mit seinem üblichen, möglichst gutgelaunten Zwinkern und winkte. Katharinas Gesicht blieb ernst.
«Warum denn wieder einpacken? Was ist denn los», fragte Heinz unsicher.
Frau Pflog trat aus der Seitentür. «Sie brauchen vorerst nicht wiederzukommen», rief sie zu ihm herüber.
Hatte er die Pest, warum blieben sie alle so offensichtlich auf Distanz? Heinz wurde ein wenig mulmig zumute. Nicht wiederkommen war schlecht, das würde seinen Verdienst nicht nur schmälern, es würde ihn praktisch zu einem Nichts zusammenschrumpfen lassen. Über so etwas redete man am besten nicht, indem man sich über den ganzen Hof hinweg anschrie. Hier war Emotion gefragt. Heinz ging zu Frau Pflog hinüber. Wenn sie unzufrieden mit ihm waren, würde er sie schon wieder weichreden. Er wusste, wie man so etwas angehen musste.
«Habe ich …», setzte er an.
«Wir haben einen Trauerfall in der Familie.»
Heinz blinzelte irritiert. Aber sie konnten sie doch nicht gefunden haben, nicht so schnell. Dort war doch nichts, nur unwegsamer Wald voller Unterholz, kein Bauer, der dort etwas zu schaffen hatte, keine lächerlichen Freizeitwanderer, die romantische Lieder in die Landschaft plärrten, und es konnte doch seit gestern Abend auch kein Jäger oder Förster …
«Ida ist tot.»
Frau Pflogs Stimme klang vollkommen ausdruckslos, und ihrem Gesicht war nichts anzumerken, kein Schmerz, keine Trauer. Allenfalls eine gewisse Erschöpfung. Ja, sie sah ein wenig müde aus. Heinz ließ den angehaltenen Atem entweichen.
«Das ist ja … Mein Beileid.» Das war tatsächlich schade, mit Ida hatte man Spaß haben können. «Wie ist das denn geschehen?»
«Ein Unfall», sagte Frau
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