Kaltes Herz
Pflog knapp. Dann wiederholte sie: «Sie brauchen vorerst nicht wiederzukommen.»
«Natürlich, das verstehe ich vollkommen.» Heinz streckte Frau Pflog die Hand entgegen. «Noch einmal mein allergrößtes, tiefempfundenstes Beileid. Bitte lassen Sie es mich wissen, wenn Sie mich wieder brauchen.»
Frau Pflog nickte, und Heinz wandte sich zum Gehen.
«Warten Sie!», sagte Frau Pflog.
«Ja?»
«Könnten Sie bitte dem Pfarrer in Gramstett Bescheid geben?»
Kurz überlegte Heinz, wie viel er dafür wohl nehmen konnte, besonders jetzt, da sein sonstiger Verdienst ausfiel. Aber dann besann er sich anders, man musste in solch einem Fall schließlich ein wenig Pietät zeigen.
«Ich werde ihn selbst herbringen. So schnell es geht.»
Die Andeutung eines Lächelns erschien auf Frau Pflogs Gesicht.
«Danke.»
«Brauchen Sie auch einen Sarg?»
Frau Pflog verzog den Mund, und einen Moment lang fürchtete Heinz, sie würde gleich anfangen, zu greinen wie ein Waschweib. Nun, eigentlich war sie ja auch ein Waschweib. Aber sie schüttelte bloß den Kopf.
«Wir haben nichts, was wir beerdigen könnten», presste sie wie unter Schmerzen hervor. «Es ist nichts …»
Dann drehte sie sich abrupt um und verschwand im Haus, und Katharina schloss ebenso plötzlich das Küchenfenster. Merkwürdig, wie sich die Leute hier benahmen. Unter seinen Füßen meinte Heinz ein Beben zu spüren, etwas, das ihm sonst in dieser Deutlichkeit nie aufgefallen war. Ida war also tot. Manchmal gab es Zufälle, die waren beinahe unglaublich. Heinz lud seine befleckte Wäsche wieder ein. Er musste sie anders loswerden. Vielleicht verbrennen. Vielleicht eine andere Wäscherei …
Erst als Heinz eine Weile gefahren war, begriff er sein Glück. Wenn Ida tot war, dann würde niemand nach Henriette Keller fragen, die Pflogs hatten jetzt wahrhaft andere Sorgen als eine ausgebüxste Nichte aus der Stadt. Und er würde sich als brauchbare Hand erweisen, ihnen Unterstützung anbieten, wo er nur konnte, ein wahrer Samariter sein. Genau. Und damit die Sache auch ganz sicher war, würde er jetzt dafür sorgen, dass niemand Henriette Keller finden konnte. Er würde nicht nur sie ordentlich vergraben, sondern auch die blutigen Säcke verschwinden lassen. Das brachte ihn dann nur in Erklärungsnot gegenüber den Auftraggebern … Aber ihm würde schon etwas einfallen.
Als Heinz in den Feldweg einbog, war ihm ein wenig flau im Magen, es behagte ihm nicht, das Mädchen noch einmal ansehen, es gar berühren zu müssen. Er war ja kein Unmensch, er hatte nur einfach Pech gehabt, und der Anblick eines Toten war etwas, das er noch nie gut vertragen hatte. So ein Körper, das war kein Mensch mehr, das war nur noch Abfall, die widerlichste Art Abfall, die er sich denken konnte, und wer wühlte schon gerne im Müll.
Heinz stellte den Wagen ab, holte zuerst seine Arbeitsgeräte heraus und legte dann die drei Säcke dazu, die eindeutig Blutspuren trugen. Er musste zweimal gehen, um die Sachen weit genug in den Wald hineinzutragen, damit sie vom Feld aus nicht zu sehen waren. Er schwitzte und schnaufte, wie hatte er es nur gestern, als es schon fast dunkel war, so weit geschafft mit seiner Last? Einen bangen Moment lang dachte Heinz, er würde die Stelle jetzt am Tag nicht wiederfinden, alles sah anders aus, die Proportionen waren verschoben, die Entfernungen kamen ihm kürzer vor.
Dann sah er die Stelle: Ein umgestürzter Baum, die aus dem Boden gebrochenen Wurzeln hatten ein tiefes Loch hinterlassen, aus dem Farn herauswucherte und Brombeerranken sich hervorschlängelten. Noch ein halber Sommer, und diese Stelle würde völlig unzugänglich und voller Dornen sein. Es war wirklich ein guter Platz, um eine Leiche zu vergraben. Heinz fand seine Spuren von letzter Nacht, abgeknickte Zweige links und rechts, aufgewühltes Laub am Boden, wo die Füße des Mädchens entlanggeschleift waren, ein richtiger Trampelpfad. Das war zu auffällig, aber es ließ sich nicht ändern. Vielleicht konnte er später den Boden noch ein bisschen mehr aufwühlen, dann würde es aussehen, als seien es Wildschweine gewesen.
Heinz warf die ersten beiden Säcke neben der Baumwurzel ab, ging die Strecke auf einem anderen Weg zurück, um seinen Pfad im Unterholz nicht noch deutlicher werden zu lassen, und kam mit dem dritten Sack, Spaten und Hacke zurück. Dann bog er den Farn beiseite und machte einen tiefen Schritt in die Senke hinein, bückte sich, um nach dem Mädchen zu tasten und es
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