Kaltes Herz
ein dummes Missverständnis zu erklären, was es ja schließlich auch ist, und die Anzeige zurückzunehmen.»
«Aber wie ist Ihnen das gelungen?»
«Ich habe ihr gewisse Informationen versprochen, wenn sie mit uns zusammenarbeitet.»
«Was für Informationen?»
«Informationen, die ihr helfen, Henriette zu beschützen.»
Altheims Lächeln war breit und selbstzufrieden, seine Augen verschwanden fast vollständig in dem Netz winziger Falten um seine Augen.
«Ich werde Ihnen etwas zeigen», sagte Altheim und stand auf.
In dem Moment bollerte Willem gegen die Tür. Frau Liese öffnete und holte Teller, Butter und Messer aus der Küche und verteilte murrend das Geschirr auf den Notenstapeln, bevor sie wieder verschwand. Altheim überreichte Charlie einen kleinen Packen Papier.
«Die Briefe!», entfuhr es Charlie.
«Exakt», sagte Altheim. «Willem hat sie geholt.»
Charlie entfaltete den ersten Brief und las, während Frau Liese, Altheim und Willem mit zufriedenen Gesichtern zu essen begannen.
Hochverehrte Frau Keller,
Sie kennen mich nicht, und auch ich hatte noch nicht das Vergnügen, Ihnen zu begegnen. Ich kenne jedoch Ihre Tochter, Henriette. Bitte erlauben Sie mir, Ihnen zu berichten, warum Ihr Fräulein Tochter mich so sehr aus der Fassung brachte, dass ich mich gezwungen sehe, Ihnen zu schreiben.
Meine Arbeit besteht darin, für einen angesehenen, wenn auch zurückgezogenen Erfinder die Handelsvertretung zu erledigen. Ich melde Patente an, lasse produzieren, schließe Verträge ab, lauter Dinge, die Sie als Frau kaum interessieren werden, die uns jedoch, dessen dürfen Sie versichert sein, ein Einkommen bescheren, das nicht nur die siebenköpfige Familie meines Geschäftspartners, sondern ganz offenbar auch Ihre kleine Familie aufs wunderbarste erhält.
Mit Erstaunen las Charlie, dass Frau Keller und Henriette offenbar heimlich vom Geld dieses Erfinders ausgehalten wurden, und wie der Briefschreiber auch wollte er wissen, wie und warum es dazu kam.
Zuerst konnte ich nichts weiter feststellen, als dass Sie gut leben und ansonsten keiner Beschäftigung nachzugehen scheinen. Doch dann traten Sie zum ersten Mal mit Ihrer Tochter vor die Türe, ich erinnere mich genau daran, dass Ihre Tochter einen blauen Mantel trug und gegen das feuchtkalte Wetter Schal und Muff aus weißem Kaninchenfell. Der Anblick Ihrer Tochter brachte mich, kurz gesagt, außer Fassung, sodass ich darüber beinahe vergessen hätte, Ihnen zu folgen.
Sicher möchten Sie erfahren, was mich so aus der Fassung brachte, werte Frau Keller. Es war nicht allein Henriettes Schönheit, es war auch nicht ihr außerordentliches Talent, das ich seit jenem Tag fast jeden Abend auf der Bühne bewundern darf.
Was mich aus der Fassung brachte – und ich bin ein Mann von gut vierzig Jahren, weit gereist, meine Augen haben viel gesehen –, ist dieses: Noch nie habe ich ein Mädchen gesehen, das einem anderen Mädchen aus einer anderen Zeit bis aufs Haar gleicht.
Sie werden verstehen, dass ich, als jemand, der es gewohnt ist, mit Zahlen und Verträgen umzugehen, eins und eins zusammenzuzählen begann und zu dem einzig möglichen Schluss kommen musste: dass es sich nämlich bei Henriette mitnichten um Ihre Tochter handeln kann, sondern dass sie vielmehr die Tochter jener Dame ist, in deren Geschäftsbücher ich Einsicht nahm, der Frau des Erfinders.
Nicht nur die unfassliche Ähnlichkeit brachte mich zu diesem Schluss, sondern auch das Faktum, dass Johanne Pflog Henriettes Existenz vor mir und vor ihrem Ehemann mehr als siebzehn Jahre zu verheimlichen suchte. Was ihr auch – bis vor einigen Wochen – gelungen ist.
Ich habe Johanne Pflog über meine Entdeckung nichts gesagt, sie lebt weiter in dem Glauben, allein um die Wahrheit zu wissen. Ich habe nicht vor, ihr Leben zu zerstören oder ihre Ehre zu beflecken, dazu habe ich sie in einem früheren Leben zu sehr geliebt.
Doch der Anblick von Henriette hat all den alten Schmerz, die Erinnerungen und auch die Liebe zurückgebracht. Darum möchte ich Sie ganz offiziell um die Erlaubnis bitten, Henriette den Hof machen zu dürfen. Eine Frau wie Henriette muss eines jeden Mannes Herz glücklich machen, doch um wie viel mehr das meine, das in ihr einen Schatz wiederfindet, der vor Jahren verloren ging.
Hochachtungsvoll, Ihr Prof. Dr. Felix Regenmacher
Charlie nickte stumm, natürlich hatte er recht gehabt. Der Mann mit dem Opernglas war Professor Regenmacher. Und Frau Keller hatte von Anfang an von
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