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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Freise
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frischgepflügten Feld machten ihm zu schaffen, und er kam viel zu langsam voran. Seit Jahren ging er kurz vor dem Morgengrauen hinaus, wenn niemand ihn sah, seit Jahren schaute er in den Himmel, wenn er noch ganz nackt war, wenn weder Sonne, Mond noch Sterne ihm ihr Licht aufzwangen. Er schaute zu, wie der Tag begann. In all den Jahren war er niemals jemandem begegnet, und in all den Jahren war er auch nicht ein einziges Mal gerannt. Sie durfte ihn so nicht sehen, nicht so!
    Er hatte Regenmacher nicht geglaubt, dass Johanne ein neues Mädchen eingestellt hatte, er hatte diese Behauptung für ein weiteres Lockmittel gehalten. Seit dem Unfall hatte Regenmacher Heinrich gedrängt, unter Menschen zu leben, im Kreis der Familie. «Es gibt Masken, es gibt Schleier», sagte er immer. Doch Heinrich konnte es nicht. Die Vorstellung, seine Kinder könnten ihn so sehen … Außerdem, Johanne hätte ihm davon erzählt. Sie hatte keine Geheimnisse vor ihm, hatte nie welche gehabt, so wenig wie er Geheimnisse vor ihr hatte. Sie vertrauten einander vollständig.
    Heinrich lehnte sich an die feldseitige Wand des Waschhauses und hörte seinem Atem zu, wie er durch die Luftröhre pfiff, spürte, wie er sich zwischen den Rändern seines ausgefransten Fleisches hindurchwand, herein, hinaus, immer nass, immer rasselnd. Was er im Wald gesehen hatte, musste eine Wirkung von Regenmachers Einflüsterungen sein. Zusammen mit dem Morphium, das er nahm, wenn die Schmerzen ihm den Schlaf raubten, wenn er sich wie ein Hund winselnd auf dem Boden wand. Aber das Medikament hatte bisher noch nie die Wirklichkeit verändert, sein Verstand hatte unbeeindruckt davon mit absoluter Klarheit und Schärfe weitergearbeitet.
    Doch was er heute früh im Wald gesehen hatte, was er glaubte gesehen zu haben, war schlicht unmöglich. Die Zeit selbst musste ihm einen Streich gespielt haben. Der Gedanke hakte sich in ihm fest. Die Zeit … was, wenn es etwas mit der Maschine zu tun hatte? Konnte es sein, dass sie auf bisher unbekannte Weise in den Strom der Zeit eingriff? War so etwas, rein theoretisch, denkbar?
    Als Heinrichs Atem sich ein wenig beruhigt hatte, öffnete er schnell die rückseitige Hoftür des Westflügels. Die Mädchen konnten jeden Moment herunterkommen, um mit ihrer Arbeit zu beginnen, das Licht sah nach Frühstückszeit und Katzenwäsche aus, und einen Moment lang sehnte er sich tatsächlich danach, an diesen alltäglichen menschlichen Verrichtungen teilhaben zu können. Doch wenn es etwas gab, was er nicht war, dann ein Mensch. Heinrich drückte die Tür hinter sich zu und verschloss sie von innen. Mit dem zweiten Schlüssel öffnete er die Kellertür, stütze sich mit beiden Händen an den Klinkerwänden ab, hielt inne. Seine Beine zitterten. Statt wie sonst hinabzugehen und auf Johanne zu warten, die kam, um ihm seinen Frühstücksbrei zu füttern, nahm er schließlich die Hintertreppe nach oben.
    Der Westflügel gehörte ihm und seiner Arbeit, auch wenn er die oberen Stockwerke kaum nutzte. Denn wenn das Tageslicht zu hell wurde, begann es in seinen Augen zu schmerzen. Er gehörte nicht in die Welt der Lebenden, er war dem Tod nur abgetrotzt, sein Reich war unter der Erde, und er wollte es so. Nur heute war es anders, mit diesem Schrecken im Leib brauchte er das Licht. Und vor allem brauchte er Gewissheit. Wenn es stimmte, dass die Maschine das Gefüge der Zeit durcheinanderbrachte … Die Möglichkeiten ließen Heinrich vor Erregung zittern. Es gab keinen allgemeingültigen Namen für den Ort, von dem die Energie für seine Maschine stammte. Er kannte den Ort nicht, hatte ihn nie gesehen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er in die Ordnung der Dinge eingriff, wenn er Energie von diesem Ort nahm. Und er nahm viel und ohne Unterbrechung. Konnte das einen Effekt auf die Welt haben, die ein Produkt dieses Ortes war, mit dem sie verflochten war? Konnte es sein, dass er ungeahnte Ströme im Gefüge der Lebenskraft schuf, dass er nicht Energie, sondern Zeit stahl? Wenn das, was er im Wald gesehen hatte, Wirklichkeit war, dann schien alles möglich. Vielleicht sogar … die Zeit vor dem Unfall heraufzubeschwören.
    Heinrich öffnete die Tür zu einem der leeren Zimmer im Erdgeschoss. Auf dem Parkett lag eine dicke Staubschicht, der Luftzug von der Tür wirbelte die Partikel auf, und sie tanzten im Morgenlicht, das in schmalen Streifen zwischen den grünen Samtvorhängen hindurchfiel.
    Heinrich trat an eines der Fenster, fasste den Rand des

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