Kaltgeschminkt (German Edition)
funktioniert hat, versuchen wir etwas anderes.«
»Ja, zum Beispiel einen Exorzisten«, zieht mich Rachelle auf.
James stellt sein Glas ab, sieht mich direkt an. »Harris, wenn er morgen früh wieder wie ein Splatteropfer auf dem Tisch liegt und ich die Tür nicht aufkriege wegen seinen verdammten Rippen, hast du keine zweite Chance mehr.«
Vielleicht geht es nur mir so, aber es klingt wie eine Drohung. Trotzdem zucke ich lediglich die Schultern. Verrückterweise habe ich keine Angst vor offensichtlich ausgesprochenen Drohungen, denn dann erkenne ich wenigstens aus ersten Hand, dass ich in Gefahr bin; nur die etwaige Möglichkeit von Gefahr macht, dass man von mir im günstigsten Fall noch in der Staubwolke steht, die ich bei meiner Flucht hinterlasse.
»Es geht darum, wer Mr. Lügenbold für seinen letzten Gang bereiten kann, ohne ihn einer Reihe lustiger Experimente zu unterziehen. Ich wurde an dich verwiesen. Du bist der Letzte, der bei Miller lernen konnte. Nach dir – und mit seinem Tod – kommt da keiner mehr.«
Auch Rachelle hört das plötzliche Zittern in seiner Stimme. Er wischt sich über die Augen, ich senke peinlich berührt den Blick. Nur Rachelle beobachtet ihn, leise lächelnd. Ich habe längst aufgehört mich über die beiden zu wundern. Wir reden noch ein wenig über dieses und jenes, ohne dass es uns wirklich interessiert. Dann frage ich ihn, was mir schon seit einiger Zeit unter den Nägeln brennt. »Erzähl mir etwas über den Bund«, verlange ich.
»Über welchen Bund?«
»Den, in dem du Mitglied bist. Die Auserwählten, meinetwegen. Erzähl mir was darüber.«
Er lacht kurz auf. »Es gibt keine Auserwählten , McLiod. Wie ich sagte, nach dir und mir kommt keiner mehr. Du bist mein Nachfolger, ich bin der vom alten Miller. Und sofern du nicht heimlich einen Lehrling in deinem Schlösschen versteckt hältst, oder eine sexy Auszubildende«, er schielt boshaft zu Rachelle hinüber, die sich jedoch konzentriert ihrer Scholle widmet, »dann kommt da ganz einfach nichts mehr nach.«
Ich bin nicht zum Nachgeben aufgelegt. »Und wer weiß von diesem … Job, den du da für irgendwelche Totengötter erledigst?«, fasle ich sarkastisch.
Er sieht mich strafend an. »Genau so viele wie vor wenigen Sekunden: immer noch niemand außer uns Dreien hier. Ehrlich, McLiod, wer würde das Ganze denn überhaupt glauben? Die Menschen setzen sich nur mit den Sterbegedanken auseinander, damit sie was zu tun haben. Die Welt ist ihnen scheinbar noch nicht beschissen genug. Und Zynismus ist die Waffe der geistig Schwachen. Nur so am Rande.«
»Herzlichen Dank.«
Wir prosten uns zu, jedoch ohne jede Herzlichkeit.
»Und was, wenn ich zu alt bin? So viele Jahre liegen immerhin auch nicht zwischen uns beiden.«
»Dann ist das ihr Problem, das der ›Drei‹. Und über die kann meine – Entschuldigung – unsere liebe Rachelle dir noch mehr erzählen, wenn du das brauchst. Ich bin müde.«
Dann verabschiedet er sich knapp von uns. Einen Moment versuche ich zu verstehen, was mir seit einigen Stunden an wirrem Geplänkel eingetrichtert wird.
Rachelle funkelt mich über ihren Wein hinweg schelmisch an. »Hast du Lust etwas Verrücktes zu machen?«
Ganz so verrückt mag es nicht erscheinen, nahe der Binnenalster spazieren zu gehen. Es sei denn, man tut es direkt auf dem schmalen Rand darüber. Wir balancieren um das gesamte Becken herum, Rachelle elegant wie eine Tänzerin, wobei ihre Sticheleien mir gegenüber aus damenhafter Sicht doch sehr zu wünschen übrig lassen. Dass ich mich wie ein Bär auf ›Magic Mushrooms‹ bewege, ist wirklich gelogen. Trotzdem falle ich prompt, bei dem Versuch sie einzuholen, in das braune Brackwasser. Und sie folgt mir kreischend, als sie mich noch mit zwei Fingern am Kragen festhalten will. Diesmal weit weniger elegant.
»Ich wusste, gar nicht, dass du so schmutzige Wörter kennst«, necke ich sie, während ich ihr das Haar mit einem Handtuch trockenrubble. »Schlimmer als jeder Bierkutscher in der hinterletzten schottischen Provinz.«
Wir sitzen in einer kleinen Wohnung in der Stadtmitte, die Rachelle als Nebenwohnung angemietet hat und sich mit ein paar Freunden teilt. Heute ist niemand da und sie betont, dass auch keiner mehr kommen wird. Es ist ein traumhaftes kleines Nest, mit einem kleinen Kamin vor der Couchgarnitur, einer Essecke und einem runden Balkon. Eine Wand wird komplett von einem gigantischen Bücherbord mit verschiebbaren Regaleinheiten in Beschlag
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