Kaltgeschminkt (German Edition)
Augenbrauen. »Ich stehe total auf deinen Akzent.« Dann sieht sie sich plötzlich gehetzt um. »Wie wäre es mit einem Spaziergang?«
Ich falle beinahe vor Überraschung aus der Welt. »Jetzt noch?«
Sie seufzt gespielt genervt. »Musst du etwa schon in die Heia?«
»Naja, wir haben morgen viel zu tun …«
»Es ist sowieso schon Morgen. Und ein Sonnenaufgang in dieser wunderschönen Stadt …«
»Zerfällst du da nicht zu Staub?«, versetzte ich.
Sie lächelt schief. »Du wärst es mir wert.«
Ich spüre Hitze um mein Gesicht aufwallen, werde jedoch zum Glück niemals rot.
»Jetzt schau nicht so teilnahmslos.«
»Das ist mein Gesicht, Rachelle.«
»Na gut, ich hole meinen Mantel. Wir treffen uns draußen.«
Sie verabschiedet sich mit einer knappen Handbewegung von dem bärtigen Kerl, der uns aus wenigen Metern entfernt fixiert. Er nickt knapp und sieht mich finster an. Ehe ich mich umsehe, verschwindet Rachelle durch eine große Eisentür und ich folge ihr eilig. Gerade noch rechtzeitig nehme ich ihren Mantel von der Garderobe entgegen, um ihr hineinzuhelfen. Überrascht sieht sie mich an, schlüpft dann geschmeidig hinein. Ich halte ihr die Tür auf und wir verlassen die Fledermaushöhle, in der ich mich so wohnlich gefühlt habe.
»Gunnar ist eifersüchtig«, meint sie, während sie ihr langes Haar aus der Kapuze schüttelt.
Ich nehme an, sie meint den tätowierten Bärtigen und nicke. »Zu Recht?«
Es überrascht mich unangenehm, wie unüberlegt diese Frage aus mir heraussprudelt.
Rachelle lächelt mich an. »Das finde ich gerade heraus.«
Sie nimmt den von mir angebotenen Arm und wir schlendern hinaus in die letzten dunklen Minuten der Nacht.
Wir unterhalten uns über meinen Umzug nach Amaranth Manor, spekulieren wild über die Geister, die dort leben, reden über ihre Arbeit bei ›Beastly&Hammerstein‹, nicht aber über die Beziehung in der sie zu James steht.
»Die Briten sind sehr beliebt in Hamburg. Ich finde, hier trifft sich nordischer Flair mit englischem Charme. Nur Wenige teilen diese Ansicht, aber das ist mir egal. Ich liebe diese Stadt und ich bin froh, dass wir hier arbeiten können.«
Ich nicke zustimmend. »Und was hast du gegen James?«, frage ich und bereue es augenblicklich.
Sie sieht mich nicht an. »Nichts. Nichts Scharfkantiges zumindest.« Sie lacht kurz auf. »Wir haben schon zu lange miteinander zu tun. Schon seit seinem Auslandssemester in Cambridge.«
Ich spitze die Ohren. »Ihr kanntet euch schon in England?«
»Ja. Wir haben uns in einem Club in London kennengelernt. James war dort bei Freunden zu Besuch und ich bei meiner Schwester. Egal, erzähl mir noch etwas über dich.«
Ich bin etwas ratlos. Soll ich ihr erzählen, wie ich vom devoten Lehrling zum erfolglosen Selbstmörder mutiert bin? Wohl kaum würde sie mich für einen tollen Kerl halten, der ich – abgesehen davon – auch nicht im Geringsten bin. Ich beschließe, ihr eine Lüge zu erzählen und mir diese für später auch zu merken, und lege eine Hand auf ihre Finger. Sie sind eiskalt.
»Hab meine Handschuhe vergessen, ich Dummerchen«, meint sie verlegen. Ich schließe meine Finger um ihre und vergrabe unsere Hände in meiner Manteltasche.
»Sag so was nicht.«
»Was? Handschuhe?«
»Du weißt, was. Ich mag es nicht, wenn andere sich so herabsetzen.«
Ab diesem Moment hält sie mich zweifellos für herrschsüchtig und im besten Fall für exzentrisch. Rachelle bleibt stehen und sieht mich lange an. Ich nutze den Moment, mir ihr Gesicht für die Ewigkeit einzuprägen. Ihre hohe Stirn, die hellgrauen, leicht schräg stehenden Augen. Die hohen Wangenknochen, ihren kleinen Mund, dessen feine Lippen leicht geöffnet sind, als sie ein „Danke“ haucht. Ja, es klingt alles sehr romantisch. Ich hätte etwas tun sollen. Sie küssen zum Beispiel. Aber ich bin nun mal kein Frauentyp und noch weniger ein Casanova. Stattdessen zünde ich mir eine meiner speziellen Selbstgedrehten an. Auch biete ich ihr eine an, doch sie schüttelt sanft den Kopf.
»Ich rauche nicht und verzichte auch auf Alkohol. Und Drogen kommen mir sowieso gar nicht in die Tüte.« Sie lacht mädchenhaft. »Der war gar nicht schlecht, was?«
Ich lächle schief. Glücklicherweise hat ihr Humor keinerlei Auswirkung auf ihre erotische und dennoch sanftmütige Ausstrahlung. Aber es wird Zeit für mich, sonst kann es sein, dass ich diesen magischen Moment doch noch verderbe, wenn ich noch ein wenig länger mit ihr allein bleibe. Deshalb
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