Kaltgestellt
Tweed ist oben und nimmt gerade ein Bad. Monica ist auch noch da.« Leise ging Paula die Treppe hinauf und öffnete die Tür. Monica war nicht im Büro, vermutlich war sie nach oben gegangen, um eine Kleinigkeit zu essen. Paula schloß die Tür hinter sich und sah sich beklommen in dem Raum um. Die dicke Aktentasche, die sie bereits im Raging Stag gesehen hatte, stand halb geöffnet unter Tweeds Schreibtisch. Paula blieb stehen und rang mit sich. Sie hatte noch nie in anderer Leute Sachen herumgeschnüffelt, aber sie wollte unbedingt wissen, was Sache war, denn sonst würde ihr die Ungewißheit keine Ruhe mehr lassen. Sie beugte sich nach unten und zog die Aktentasche vorsichtig unter dem Schreibtisch hervor. Als sie einen Blick hineinwarf, wurde ihr fast schlecht. Die Tasche war voller Bündel mit Einhundertdollarscheinen, die mit Gummibändern zusammengehalten wurden. Paula nahm eines der Bündel heraus und zählte es rasch durch. Es enthielt genau hundert Scheine. Nach der Menge der Bündel zu schließen, mußte Tweed eine Summe von mehreren hunderttausend Dollar erhalten haben. Benommen schob Paula die Aktentasche an ihren Platz zurück und richtete sich langsam auf. Sie mußte das Gebäude verlassen haben, bevor Tweed aus dem Badezimmer kam, denn heute Nacht konnte sie seinen Anblick nicht mehr ertragen. Rasch stieg sie die Treppe hinunter und blieb an Georges Tisch kurz stehen.
»Bitte, sagen Sie niemandem, daß ich noch hier war. Tweed glaubt, daß ich heute früh zu Bett gegangen bin.«
»Wird gemacht, Miss.« Paula setzte sich in ihren Wagen und ließ den Motor an. Bevor sie losfuhr, wartete sie noch eine Weile, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte. Auf dem Weg zu ihrer Wohnung war sie dankbar dafür, daß zu dieser späten Stunde nicht mehr viel Verkehr war. Die Straßen waren leer. So leer, wie sie sich fühlte.
15
Etwa zur selben Zeit als Paula und Nield sich im Santorini’s ihr Hauptgericht schmecken ließen, saß Marler mit Denise Chatel im Lanesborough. Denise, deren langes, dunkles Haar perfekt frisiert war, trug einen seidenen Hosenanzug. Marler war vom ersten Augenblick an tief beeindruckt von ihrer Erscheinung. Als sie sich setzten, sagte er ihr das auch. »Was für ein reizendes Kompliment, Alec. Vielen Dank«, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln. Als Marler sie später bat, den Wein auszusuchen, wählte sie einen sehr guten Jahrgang im mittleren Preissegment. Während die beiden über Gott und die Welt sprachen, hatte Marler das Gefühl, als würde er Denise schon seit vielen Jahren kennen. Ihre blauen Augen, die sie manchmal durch das Restaurant streifen ließ, kamen immer wieder auf seinem Gesicht zur Ruhe. »Das ist ein schönes Lokal«, sagte sie. »Kein Wunder, daß hier so viele Leute sind.«
»Früher war es einmal ein großes Krankenhaus, das dann später in ein Hotel umgewandelt wurde. Darf ich Ihnen noch etwas Wein nachschenken.?« Nach dem Essen gingen sie zum Kaffeetrinken in einen anderen Raum. Denise ließ sich auf einer Couch nieder und schlug die wohlgeformten Beine übereinander. Marler, der sich neben sie setzte, überlegte, ob er ihr auch wegen der Beine ein Kompliment machen sollte, hielt es dann aber doch nicht für angebracht. So gut kannte er sie schließlich auch wieder nicht. Statt dessen machte er eine Bemerkung, mit der er das Gespräch in eine Richtung lenkte, deren Konsequenzen ihm erst viel später wirklich bewusst werden sollten.
»Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie neulich gesagt, daß Ihr Vater Franzose war und Ihre Mutter Amerikanerin. Das klingt ziemlich kosmopolitisch.«
»Darauf.« Sie zögerte. »Darauf wollte ich ohnehin zu sprechen kommen. Ich hoffe, Sie mißverstehen das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, nicht als einen Versuch, auf billige Art und Weise Ihr professionelles Wissen anzuzapfen.«
»Aber natürlich nicht«, erwiderte Marler und beugte sich vor. »Ich interessiere mich für alles, was Sie angeht. Schießen Sie los.«
»Als ich bei Ihnen in der Park Crescent war, habe ich davon gesprochen, daß meine Eltern beide bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. An diesem Unfall gibt es einiges, was ziemlich mysteriös ist und mir seither Kopfzerbrechen bereitet. Der Unfall hat sich kurz hinter der Grenze nach Virginia in einem kleinen Ort ereignet. Ich schreibe den Namen des Orts am besten auf.«
»Hier ist mein Notizbuch«, sagte Marler und nahm ein kleines Heft aus der Tasche. »Je mehr Details Sie mir geben, desto
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