Kaltgestellt
Pub mindestens ebenso voll wie das Santorini’s. Paula fand ihren Platz bestens dazu geeignet, um Tweed im Auge zu behalten, denn in dem großen Spiegel hinter der Bar konnte sie den Tisch der beiden Männer deutlich sehen. Sie zog sich den Mantel aus und legte ihn sich zusammengefaltet auf den Schoß. Als ihr der Barkeeper den Wein hinstellte, trank sie einen Schluck davon – und erstarrte vor Schreck. Im Spiegel sah sie Tweed und Osborne, die sich offenbar angeregt unterhielten. Osborne wedelte mit den Händen in der Luft herum, und Tweed nickte. Was Paula einen solchen Schreck einjagte, daß sie ganz vergaß, ihr Glas abzusetzen, war aber nicht der Anblick der beiden Männer, sondern eine dicke Aktentasche, die am Tischbein neben Tweed lehnte. »Ist was?«, fragte Nield.
»Nein, nichts«, antwortete Paula, während sie sich ihr Halstuch so um das Gesicht legte, daß ihre Haare darunter verborgen waren. Der Kellner brachte Osborne gerade dessen Kreditkarte zurück. Der Amerikaner nahm sie von dem kleinen Tablett und steckte sie in seine Brieftasche. Nield beugte sich noch tiefer über den Tresen, damit Tweed, wenn er aufstand und das Lokal verließ, sein Gesicht nicht sehen konnte. Die beiden Männer, denen sie die Barhocker weggenommen hatten, standen jetzt mit Biergläsern in der Hand hinter ihnen und bildeten einen zusätzlichen Sichtschutz. Als Paula wieder in den Spiegel schaute, entdeckte sie Butler, der sich in einer Ecke des Lokals versteckt hatte. Osborne stand auf, klopfte Tweed auf die Schulter und machte sich zum Ausgang auf, wobei er rücksichtslos die anderen Gäste aus dem Weg schob. Er trug nicht einmal einen Mantel – offenbar isolierte ihn das viele Fleisch auf seinem massigen Körper gegen die arktischen Temperaturen, die draußen herrschten.
»Sollen wir noch hier bleiben?«, fragte Nield. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern noch meinen Wein austrinken. Ich bin erst zum zweiten Mal hier, und das Lokal gefällt mir.« Nachdem Osborne gegangen war, blieb Tweed noch eine Weile allein am Tisch sitzen. Dann stand er auf, nahm die Aktentasche an sich und schlängelte sich langsam auf den Ausgang zu, wobei er, ganz anders als Osborne, die anderen Gäste höflich um Entschuldigung bat. Schließlich hatte Tweed das Lokal verlassen. Paula war es immer noch ganz anders. Diese Aktentasche hatte sie bei Tweed noch nie gesehen. Sie blieb noch ein paar Minuten sitzen, bis sie das Glas geleert hatte. »Jetzt würde ich gern gehen, Pete«, sagte sie. »Ich glaube, ich habe genug getrunken.« Etwas an ihrer Stimme und ihrem Verhalten kam Nield merkwürdig vor, aber er wartete, bis sie auf dem Weg zu seinem Wagen waren, bevor er sie darauf ansprach.
»Bedrückt Sie etwas?«, fragte er.
»Nein, nicht im Geringsten. Es war ein wirklich schöner Abend, Pete. Vielen Dank, daß Sie mitgekommen sind.« Als sie im Auto saßen, startete Nield den Motor und schaltete die Heizung an. Er hatte eigentlich gedacht, daß er Paula zu ihrer Wohnung in der Fulham Road fahren werde, aber sie überraschte ihn mit der Bitte, sie zur Park Crescent zu bringen.
»Ich habe dort noch etwas zu tun«, sagte sie.
»Später fahre ich dann mit meinem eigenen Auto nach Hause.«
»Das geht nicht. Sie brauchen jemanden, der auf Sie aufpaßt.«
»Aber Pete! Ich bin doch kein kleines Hündchen, das man nicht von der Leine lassen kann.«
»Was bedrückt Sie, Paula? Geteiltes Leid ist halbes Leid.«
»Sorry, daß ich eben so aufbrausend war, Pete. Das war nicht nett von mir, noch dazu, wo wir einen so schönen Abend miteinander hatten. Aber ich will trotzdem erst noch in die Park Crescent.«
»Kein Problem. Aber ich könnte doch zu Ihrer Wohnung vorausfahren und nach dem Rechten sehen. Haben Sie schon vergessen, daß die Leute, die Sie umbringen wollten, genau wissen, wo Sie wohnen?«
»Ja, Sie haben Recht. Und ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie so viel für mich tun wollen. Hier sind die Schlüssel zu meiner Wohnung.«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich dort gern warten, bis Sie kommen.«
»Nein, das macht mir nichts aus.« Während der Fahrt zur Park Crescent saß Paula schweigend neben Nield. Sie ärgerte sich über ihren ungerechten Ausbruch von vorhin und wußte nicht, was sie sagen sollte. Als Pete vor dem Gebäude hielt, gab sie ihm einen KUSS auf die Wange und drückte ihm die Hand, bevor sie ausstieg. In Tweeds Büro brannte noch Licht.
»Guten Abend, Paula«, begrüßte sie George. »Mr.
Weitere Kostenlose Bücher