KALTHERZ
musste sich Ka t ja eingestehen, sahen auf den ersten Blick entstellt und häs s lich aus, aber das Lachen und die ungehemmte Freude in ihren Gesichtern machten sie auf eine andere Weise schön.
Katja beschloss, sich erst mal das Programm anz u schauen, sie fühlte sich erschöpft von der lauten Geräusc h kulisse, dem G e wimmel und den vielen neuen Eindrücken, die auf sie ei n stürmten.
Nach den Gardemädchen kamen einige Büttenredner, die lautstark bejubelt und beklatscht wurden. Die Pointen waren nicht so wichtig, hatte Katja den Eindruck. Es ging einfach nur um den Spaß, egal wie viel vom Inhalt ve r standen wurde. Als Nächstes sang ein Trio Fasching s gassenhauer und spielte dazu Schifferklavier und Gitarre. Die Behinderten konnten nicht genug bekommen. Viele waren zur Bühne g e laufen und klatschten im Takt zur Musik, andere bildeten eine Polonaise und liefen zwischen den Stuhlreihen hindurch. Immer wieder schrien sie lau t stark „Zugabe, Zugabe“, wenn die Band aufhören wol l te zu spielen.
Katja war gerade von ihrem Stuhl aufgestanden, um nach Hause zu gehen, als Dagmar Pohl sie ansprach.
„Jetzt kommt gleich das ‚Schneewittchen’, also Herr Reimers von der Werkstatt, der Betreuer von Lothar, macht eine Travestieshow“, fügte sie erklärend hinzu. „Ich habe ihm g e sagt, dass Sie hier sind und mit ihm reden möchten.“
Katja versprach sich nichts mehr von diesem Abend. Da die Musik aber schon a n gefangen hatte, setzte sie sich wieder.
Sie spielten eine Art Barmusik, als sich ein woh l geformtes Bein in Netzstrumpfhosen und hochhackigen Schuhen aus dem Vorhang schälte. Es wurde zurüc k gezogen, dann e r neut ausgestreckt, diesmal schob sich die Person ein Stückchen weiter nach vorne und ein lila-schwarzer Rock mit Spitzenüberwurf schwang dazu im Rhythmus vor und zurück. Das wiederholte sich ein paar Mal, bis das ganze Schneewittchen sichtbar wurde. Der lila-schwarze Rock endete in einer Wespentaille, das daz u gehörige Oberteil ließ einen vollen Busen und tiefen Au s schnitt sehen. Das Schneewittchen hatte sich einen kirsc h roten Mund gemalt über dem ein kleiner schwarzer Bart trohnte. Eine schwarze Lockenperücke vol l endete die androgyne Märchenfigur.
Er machte einen Schmollmund, schickte imaginäre Kü s se ins Publikum und bewegte sich dazu langsam und au f reizend weiter, während er ab und zu eins seiner perfekten Beine aus dem bis zur Taille geschlitzten Rock hob und wieder sinken ließ. Dass die Kerle immer so perfekte Beine haben mussten, ging es Katja durch den Kopf. Se i ne schwarzen Augen blickten grinsend ins Publikum. Irgen d wann kamen die sieben Zwerge dazu, aber Katja konnte sich nicht von seiner Person losreißen. Er hatte eine fasz i nierende Ausstrahlung, und sie fragte sich, ob er sich de s sen bewusst war oder einfach nur Spaß am Spiel und Ve r kleiden hatte. Aber seine Augen passten nicht ganz zu di e ser harmlosen Variante. Sie funkelten, und immer wieder suchte er die Blicke seiner weiblichen B e wunderer im Saal, die keineswegs nur aus den weiblichen Behinderten b e standen, wie Katja an Dagmar Pohls hingerissenem Blick deu t lich erkennen konnte.
Nach dem Ende der Nummer sollte Katja noch ein w e nig warten. Gerd Reimers müsse sich umziehen und könne ihr dann ihre Fragen beantworten. Sie sah ihn nach einer Weile an einem Würstchenstand stehen, umringt von B e hinderten, und Würstchen verkaufen. Er hatte tatsäc h lich schwarze Haare, schwarze Locken, auf die er sich jetzt eine dunkle Baskenmütze gesetzt hatte. Die Lippen waren i m mer noch rot geschminkt. Katja fiel es schwer, durch die Gruppe zu ihm zu gelangen. Zwei b e hinderte junge Frauen hatten je einen Arm um ihn g e legt und sie alberten herum. Sie schienen voller Ve r trauen ihm gegenüber, und er ging völlig natürlich mit ihnen um, nichts G e künsteltes oder Verstelltes konnte Katja in dieser Szene erkennen. Es ve r setzte ihr einen Stich. Sie musste plötzlich an Jochen de n ken, weiß der Himmel warum, sie konnte ihn sich in einer ähnlichen Szene beim besten Willen nicht vo r stellen.
Sie raffte sich auf und ging zu ihm hinüber.
„Sie waren das erotischste Schneewittchen, das ich je gesehen h a be.“ Katja streckte ihm die Hand hin. „Hallo, ich bin Katja Lehmann. Eigentlich wollte ich Ihnen einige Fr a gen stellen, aber ich glaube, das verschieben wir doch lieber auf einen anderen Termin.“ Mein Gott, was rede ich denn für einen gnade n losen Unsinn, dachte sie
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