Kaltherzig
Tochter aus Ihnen zu machen?«
»Nichts«, sagte ich, »Überhaupt nichts. Wir haben philosophische Differenzen.«
»Sie hielten Dushawn nicht für unschuldig?« Er strengte sich an, überrascht, sogar amüsiert dreinzublicken. Ich täuschte keine Erheiterung vor.
»Niemand hielt Dushawn für unschuldig. Die Jurymitglieder hielten ihn nicht für unschuldig, aber man hatte ihnen so viele ›begründete Zweifel‹ über den Kopf geschlagen, bis sie nicht mehr klar denken konnten. Dank meinem Vater ist ein weiterer Verbrecher unbehelligt davongekommen. Ein echter Beitrag zu unserem Strafrechtssystem.«
Brody runzelte die Stirn. Er war vermutlich keine Frauen gewöhnt, die eine eigene Meinung hatten und in zusammenhängenden Sätzen sprechen konnten. Das machte mich interessant für ihn, was gut war.
»Soll ich ihm dann einen Gruß von Ihnen ausrichten, wenn ich ihn sehe?«, fragte er.
»Nur, wenn Sie ihm den Abend verderben wollen«, antwortete ich honigsüß. »Und wann wird das sein? Ich schreib es mir in den Kalender.«
»Irgend so ein Wohltätigkeitsball nächste Woche in Mar-a-Lago, weiß der Kuckuck, um welche Krankheit es wieder geht.«
Wie surreal es sich anfühlte, hier zu sitzen und plötzlich meinem Vater wieder greifbar nahe zu sein, nachdem wir zwanzig Jahre lang in verschiedenen Welten gelebt hatten. Es gefiel mir nicht. Ich mochte die Vorstellung nicht, dass er etwas über mich erfuhr. Ich wollte in seinem Kopf nicht vorkommen.
Ich wollte mir nicht vorstellen, wie meine Mutter über mich nachdachte und sich fragte, was ich so trieb. Das hieß, ich hatte mir erfolgreich eingeredet, dass keiner der beiden seit Jahren einen Gedanken an mich verschwendet hatte. Aus den Augen, aus dem Sinn. Es war einfacher für mich, wenn ich so dachte. Einfacher wegzubleiben.
Wenn sie mich erreichen wollten, hätten sie gewusst, wo
ich zu finden war. Mein Name war im Vorjahr im Zusammenhang mit dem Entführungsfall Erin Seabright in der Zeitung gewesen. Wenn sie gewollt hätten, dass ich ein Teil ihres Lebens bin, hätten sie damals die Hand ausgestreckt. Sie hatten es nicht getan.
»Das wirkt alles viel zu ernst hier«, sagte Barbaro, als er neben mir Platz nahm. »Was hat er getan?«, fragte er und nickte in Richtung Brody.
»Wir lassen nur alte Zeiten wiederaufleben«, sagte ich.
»Das hat keinen Sinn, wenn uns diese alten Zeiten nicht froh und heiter stimmen«, erwiderte Barbaro.
Dann wäre meine Fähigkeit zur Konversation ziemlich stark eingeschränkt, dachte ich, sagte es aber nicht.
Die Bedienung brachte eine Runde Drinks. Sie nahm den Blick keine Sekunde von Barbaro. Sie schaffte es, ihr Dekolleté direkt vor sein Gesicht zu schieben, als sie sich vorbeugte, um die Cocktailservietten zurechtzurücken. Er schenkte ihr ein höfliches Lächeln und sagte: » Gracias. « Aber seine Aufmerksamkeit blieb auf mich gerichtet.
Eindrucksvoll. All die gottgleichen Playboys, die ich von früher kannte, hätten nicht so viel Zurückhaltung an den Tag gelegt, egal wie sehr sie sich meine Aufmerksamkeit erhalten wollten.
»Elena arbeitet mit Pferden«, sagte er zu Brody.
Einen Moment lang schaute Brody verwirrt, während er die Tatsache, dass ich Edward Estes’ Tochter war, mit meiner Arbeit in einem Stall in Einklang zu bringen versuchte. Aber er war ein mindestens so guter Pokerspieler wie mein Vater und verbarg seine Verwirrung so rasch, dass jeder andere sie für Einbildung gehalten hätte.
»Ich ziehe es vor, mein Geld auf ehrliche Weise zu verdienen«, spottete ich und prostete ihm zu. »Ich reite für Sean Avadon.«
»Den kenne ich nicht. Er hat nichts mit Polo zu tun.« Er sagte es, als wäre niemand außerhalb der Poloszene eine Bekanntschaft wert.
»Nein«, sagte ich. »Aber machen Sie sich nichts draus. Er weiß bestimmt auch nicht, wer Sie sind, noch interessiert es ihn.«
Brody lachte laut und aus dem Bauch heraus. »Sie gefällt mir, Juan«, sagte er zu Barbaro, als würde der mich als angehende Mätresse präsentieren. »Sie ist frech. Ich liebe es, wenn sie frech sind.«
»Dann ist heute Ihr Glückstag«, sagte ich. »Ich quelle über vor Frechheit.«
»Elena hat mit Irina Markova gearbeitet«, sagte Barbaro.
Brody ließ sich nichts anmerken. Er musste ein Ass am Verhandlungstisch sein. »Irina. Nettes Mädchen. Schrecklich, was mit ihr passiert ist.«
»Ja«, sagte ich, obwohl mir inzwischen sehr klar geworden war, dass sich »nette Mädchen« mit dieser Clique nicht einließen. »Wir
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