Kammerflimmern
Übertreibung für den herrenlosen Schrottplatz, auf den sie ein paar Minuten später rollten. Vor einer heruntergekommenen Werkstatthalle standen ein halbes Dutzend Autos, deren fortgeschrittenes Alter trotz der dicken Schneehauben gut zu erkennen war. An einer Seite der Halle türmten sich leere Ölfässer, auf der anderen Holzpaletten und in sich zusammengefallene und aufgeweichte Kartons. Das Wasser, das in den Pfützen unter dem Vordach stand, war regenbogenfarben. Auf einem selbst gemalten und völlig ausgeblichenen Schild konnte man lesen, dass sich auf diesem Hof eine Autoreparaturwerkstatt befand. Oder befunden hatte.
»Hättest du dein Auto hierher zur Reparatur gebracht?«, wollte Lenz von seinem Kollegen wissen.
»Eher nicht. Aber manchmal sind diese Jungs ganz schön pfiffig und haben viel mehr Ahnung von Autos und Reparaturen als die Teiletauscher in den modernen Filialbetrieben. Und während der Ausbildung hatte ich gar nicht genug Kohle, da war ich darauf angewiesen, dass meine Karre von solchen Leuten am Laufen gehalten wurde.«
Lenz schmunzelte.
»Immer einen auf dicke Hose gemacht, der Herr Polizist, dabei hatte er nix auf der Naht.«
Er ging auf das große Rolltor zu. Eines der Plexiglaselemente war gesprungen und gab den Blick ins Innere frei. Bis auf einige ältere Gebrauchtwagen war die Halle leer. Neben dem Tor gab es eine Metalltür.
»Bekommst du die auf?«
Hain nickte, sah sich um und zog ein braunes Lederetui aus der Jacke. Keine 20 Sekunden später schwang ihm die Tür entgegen.
Sie blieben einen Moment im Eingang stehen und sahen sich um. Im Innern war es feucht und ungemütlich, und trotz der Kälte und der kaputten Scheibe roch es nach Altöl und Benzin.
Ihre Schritte hallten auf dem nackten Betonboden, als sie sich dem hinteren Ende des Gebäudes näherten. Neben einem dreckbeschmierten Waschbecken gab es eine weitere Metalltür, die offenbar in einen separaten Raum führte. Hain zog seine Dienstwaffe, entsicherte sie und stellte sich breitbeinig, die Pistole nach vorne gerichtet, in Position. Lenz drückte vorsichtig den Griff herunter bis zum Anschlag, riss mit voller Kraft an der Tür und flog dann, akustisch untermalt von einem lauten Schmerzensschrei, zurück in die Halle.
Hain ließ die Waffe sinken und sah seinem Chef erstaunt nach.
Der Hauptkommissar lag, den Türgriff noch immer mit der rechten Faust umklammert, halb unter einem dunkelbraunen Volkswagen Derby und stöhnte.
»Ich hab das verdammte Ding herausgerissen und bin auf die Schulter geknallt«, presste er hervor.
»Den Griff kannst du jetzt loslassen, der hilft dir im Moment nichts«, erwiderte Hain und versuchte, sein Lachen zu unterdrücken. Dann prustete er doch los, steckte die Waffe zurück und half Lenz auf die Beine.
»Das hätte ich gerne noch mal in Zeitlupe. So hab ich dich noch nie beschleunigen sehen, Paul.«
Lenz klopfte sich den Dreck von Jacke und Hose und entdeckte dabei einen Ölfleck auf seinem rechten Hosenbein.
»Verdammt«, brummte er.
Er spannte die Muskeln im Oberkörper an und tastete seine rechte Schulter ab. Im ersten Überblick schien die ramponierte Hose der einzige Schaden zu sein. Er sah auf den Griff, den er noch immer in der Hand hielt, und deutete auf die Tür.
»Unglaublich, oder? Ich habe die ganze Klinke aus der Tür gerissen.«
Hain begutachtete mit hochgezogenen Augenbrauen das Schloss.
»Leider muss ich dir widersprechen, Chef. Das Ding war nur aufgesteckt.«
Er nahm Lenz die Klinke aus der Hand, bugsierte den Vierkant in die dafür vorgesehene Öffnung und bewegte den Arm nach unten.
»Abgeschlossen«, stellte er lakonisch fest.
Wieder griff er zu seinem Lederetui, und kurze Zeit später öffnete sich mit einem leisen Quietschen die Tür. Sie sahen in einen leeren Raum ohne Fenster. Lenz trat einen Schritt zurück.
»Und dafür das ganze Theater.«
Nach und nach nahmen sie die Halle und den Nebenraum genau unter die Lupe, aber es gab weder Hinweise auf Patzke noch auf seinen derzeitigen Aufenthaltsort.
»Lass uns abhauen, Paul, ich hab total kalte Füße. Und hier gibt’s doch nichts zu finden.«
Der Hauptkommissar war auf dem Weg zum Auto, als ihm auf dem Nachbargrundstück ein orangefarbener Kleinbus auffiel.
»Ich gehe mal nach nebenan!«, rief er Hain zu, der sich offenbar schwer damit tat, die Eingangstür der Werkstatt wieder zu verschließen.
Das gegenüberliegende Terrain war unbebaut, was sich aber, wie es aussah, in der nächsten Zeit
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