Kammerflimmern
dichten Schneetreiben und beleuchtet von Tausenden Glühbirnen der unvermeidlichen Weihnachtsdekoration über ihren Köpfen kämpften die beiden Polizisten sich durch die Heerscharen der Einkaufswütigen für das bevorstehende Weihnachtsfest. Lenz war immer wieder verblüfft, wie viele Menschen sich Jahr für Jahr in den Weihnachtstrubel stürzten, um viel zu viel Geld für teuren Unsinn auszugeben. Er selbst versuchte ab Anfang Dezember einen großen Bogen um die Fußgängerzone, den Weihnachtsmarkt und den Geschenkewahnsinn zu machen.
Rösler war ein freundlicher Mann von Mitte 50, der mit einer Tasse Tee in der Hand an seinem riesigen Schreibtisch saß. Die junge Frau, die sie hereingelassen und in sein Büro geführt hatte, verabschiedete sich ins Wochenende und zog dann die dick gepolsterte Tür hinter sich zu.
»Guten Tag, meine Herren«, begrüßte der Rechtsanwalt die Polizisten.
Lenz stellte sich und seinen Kollegen vor und kam dann sofort zur Sache.
»Uns interessiert alles, was Sie über Siegfried Patzke wissen«, begann er, »und über sein ehemaliges Gewerbe an der Leipziger Straße.«
»Nehmen Sie mir die Frage nicht übel, meine Herren, aber woher rührt Ihre Neugier in Sachen Siegfried Patzke?«
»Wir suchen ihn als Zeugen.«
Rösler nippte an seinem Tee und fing an, vielsagend zu lächeln. Mit seinen grauen Haaren und dem Dreitagebart erinnerte er Lenz an den Hauptdarsteller einer Mafiaserie aus dem Fernsehen, deren Titel er längst vergessen hatte.
»Dann will ich mal besser nicht weiter insistieren und Ihre zweite Frage vorziehen«, antwortete der Advokat, »denn was das angeht, habe ich mir zumindest schon mal einen ersten Überblick verschafft. Herrn Patzke selbst kenne ich leider nicht persönlich, da muss ich Sie enttäuschen.«
Lenz sah ihn überrascht an.
»Die meisten Menschen machen sich ein falsches Bild von der Arbeit eines Insolvenzverwalters. Oftmals gleicht meine Arbeit mehr dem Zusammensetzen eines Puzzles als der Verwaltung einer Insolvenz. Und der von der Zahlungsunfähigkeit Betroffene bleibt dabei manchmal unsichtbar, so wie in diesem Fall auch.«
»Sie haben Herrn Patzke also nie kennengelernt?«
»Nicht persönlich, nein, wie ich schon gesagt habe. Wir haben zwei- oder dreimal miteinander telefoniert, zu Beginn meiner Arbeit.«
»Sind Sie nicht auf seine Kooperation angewiesen?«
»Es würde meine Arbeit erleichtern, sicher, doch Sie können mir glauben, dass ich in den vielen Jahren meiner Tätigkeit gelernt habe, auch ohne die Mitwirkung von Menschen wie Herrn Patzke zurechtzukommen.«
Das glaubte Lenz ohne Frage. Dr. Röslers Ausdruck, seine Mimik und seine Gestik waren beeindruckend. Jede Spur von Hektik war ihm fremd, jedes Wort und jede Bewegung waren geprägt von beeindruckender Souveränität.
»Eigentlich gäbe es zu dieser Insolvenz auch gar nicht viel zu sagen …«
»Eigentlich nicht, aber eigentlich doch?«, vollendete Lenz den Satz.
»Die Faktenlage ist klar. Herr Patzke ist stark überschuldet, er war zahlungsunfähig. Er hat schon vor einigen Jahren, als es ihm finanziell noch besser gegangen sein dürfte, damit angefangen, Vermögenswerte auf seine Frau zu überschreiben, unter anderem auch das Gelände Leipziger Straße. Allerdings hat er sich im Gegenzug ein lebenslanges Nießbrauchsrecht ins Grundbuch schreiben lassen. Und hier wird es kompliziert, denn die Immobilie wurde später mit einer Hypothek belastet, deren Hintergrund ein Kredit an Patzke war. Seine Frau hat für ihn gebürgt und das Grundstück als Sicherheit benutzt.«
Lenz tat sich schwer damit, die Erklärungen zu verstehen, hatte jedoch den Eindruck, dass er dem Anwalt zumindest rudimentär folgen konnte.
»Das Grundstück gehört also seiner Frau, aber er durfte damit machen, was er wollte.«
»Richtig. Das hat er dann auch gemacht, bis zum bitteren Ende.«
»Was bedeutet das für die Insolvenz?«
»Die Hypothek ist auf eine Bank eingetragen. Die Bank will das Gelände verwerten, was sich als ziemlich schwierig darstellt, weil eben noch besagter Nießbrauch eingetragen ist. Dieses Detail macht den Erwerb für potenzielle Investoren unattraktiv, obwohl die Lage erstklassig ist. Es handelt sich schließlich um eines der wenigen Grundstücke an der Leipziger Straße, die gleichzeitig interessant und auf dem Markt zu haben sind.«
»Nebenan soll groß gebaut werden«, merkte der Hauptkommissar an.
»Ich weiß. Der dortige Investor würde sich nur zu gerne auch das
Weitere Kostenlose Bücher