Kammerflimmern
ändern sollte. Der Kleinbus gehörte zu einem Vermessungstrupp, der seiner Arbeit auf dem Gelände nachging. Das große Areal war komplett von einem Bauzaun umgeben, grob planiert und stand knöcheltief unter Wasser. Lenz rief nach den Arbeitern, die ihn aber wegen des Verkehrslärms der vierspurigen Straße, an der er stand, nicht registrierten. Er wartete, bis für einen Moment kein Auto zu hören war, und rief dann erneut. Einer der drei Männer, die grüne Warnwesten und gelbe Gummistiefel trugen, hörte ihn, blickte auf, stieß seinen Nachbarn an und deutete in Lenz’ Richtung. Der Angestoßene drückte dem Dritten seine Kladde in die Hand und stapfte schwerfällig auf Lenz zu.
»Hallo«, sagte der Kommissar und hielt seinen Dienstausweis durch das Gitter des Bauzauns, als der Mann ihn erreicht hatte.
»Mein Name ist Lenz, Kripo Kassel.«
Der Arbeiter sah ihn erstaunt an und streckte die Hand aus.
»Kröger, Firma VTE, guten Tag. Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Nein, nein. Wir haben uns nur mal auf dem Nachbargrundstück umgesehen. Wird hier gebaut?«
»Hier soll gebaut werden, ja. Wir sind gerade mit den Vermessungsarbeiten beschäftigt, wie man unschwer erkennen kann.«
»Nicht gerade das beste Wetter dafür.«
»Stimmt. Aber wir sind so weit fertig und machen gleich Feierabend.«
»Ein ziemlich großes Grundstück.«
»Die BBE will hier ihr neues Firmengebäude hinstellen. Wird ein ganz schöner Kasten.«
»Was ist die BBE?«
»Fragen Sie mich nicht. Ich glaube, die machen was mit Versicherungen, aber was genau, keine Ahnung. Geld müssen sie auf jeden Fall haben, sonst könnten sie hier nicht so groß bauen.« Er zuckte mit den Schultern. »Obwohl, groß gebaut haben auch schon andere, die keine Kohle hatten.«
Lenz deutete auf die alte Werkstatthalle.
»Wissen Sie vielleicht, was mit dem Nachbargrundstück wird?«
»Da soll das Parkhaus des Neubaus hin. Wir haben schon den Vermessungsauftrag, warten allerdings noch auf den Abriss. Der Inhaber ist pleitegegangen, jetzt gehört es eigentlich der Bank, aber der Insolvenzverwalter hat noch den Daumen drauf. Wie ich gehört habe, gibt es einen Vorvertrag mit dem Unternehmen, das hier baut.«
»Warum machen die denn keine Tiefgarage unter ihr schönes neues Haus?«
»Das geht nicht, wegen der Hochwassergefahr. Es wäre doch schade, wenn die ganzen schönen Autos der Herren Versicherungsvertreter bei ungünstiger Wetterlage bis zum Dach im Wasser stehen würden.«
»Und wann ist Baubeginn?«
»Spätestens im Februar, wenn im Januar passables Wetter ist, auch schon früher. Der Turm soll in 18 Monaten hochgezogen sein.«
»Was meinen Sie mit Turm?«
»Hier geht es 22 Stockwerke nach oben, wenn das Gebäude fertig ist. Für Kasseler Verhältnisse kann man da wohl schon von einem Turm sprechen.«
Lenz schluckte.
»Das stimmt.«
Der Kommissar spürte, wie ihm die Kälte an den Beinen emporstieg und seine Nase zum Laufen brachte. Der Wind war stärker geworden und peitschte die Wolken am Himmel mit atemberaubender Geschwindigkeit vor sich her.
»Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Informationen. Jetzt muss ich los, mein Kollege wartet schon.«
Er deutete auf Hain, der im Auto saß und gerade den Motor startete.
»Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen«, sagte der Mann.
»Was rausgekriegt?«, fragte der Oberkommissar, als sie im Auto saßen und mit auf Höchstleistung arbeitender Heizung Richtung Präsidium fuhren.
Lenz erzählte seinem Kollegen in Kurzfassung, was er von dem Vermessungstechniker erfahren hatte.
»Kennst du diese Firma BBE?«
»Nie gehört. Das soll eine Versicherung sein?«
»Ja.«
»Egal. Hauptsache, wir finden jetzt möglichst schnell diesen Patzke.«
»Ich will trotzdem wissen, was sich hinter dieser Firma verbirgt. Vielleicht sprechen wir mal mit dem Insolvenzverwalter? Der kann uns bestimmt auch was zu Patzke sagen.«
Lenz nahm sein Mobiltelefon aus der Jacke und rief zuerst die Auskunft und dann das Amtsgericht an. Eine nette Stimme am Telefon informierte ihn darüber, dass ein Rechtsanwalt Dr. Rösler zum Insolvenzverwalter bestellt worden war, und gab ihm zum Schluss auch noch die Nummer der Kanzlei durch. Dort wurde nach dem dritten Läuten abgenommen. Rösler war selbst am Telefon und erklärte Lenz, dass er noch etwa eine Stunde im Haus wäre und natürlich gerne mit den Beamten über den Fall Patzke sprechen würde.
Die Kanzlei lag in der Oberen Königsstraße, der Einkaufsmeile von Kassel. Im
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