Kammerflimmern
hätte er wahrscheinlich einen dauerhaften Hirnschaden.«
Lenz ließ sich auf dem Stuhl neben seinem Kollegen nieder und erzählte ihm von den Erkenntnissen des Kfz-Sachverständigen und seinem Besuch bei Frau Patzke. Hain hörte ihm mit immer größer werdenden Augen zu.
»Das gibt’s doch gar nicht. Erst hängt der Justiziar der IHK im Wald, dann brennt seine Bude ab. Sein Büro ist verwanzt, wie wir feststellen mussten, und seine zufällig auftauchende Sekretärin liefert uns einen Tatverdächtigen, der jedoch verschwunden ist. Zum schlechten Schluss will jemand seinen Boss umbringen. Und als ob das noch nicht genug wäre, versuchen zwei Russen, die Frau des Hauptverdächtigen mit reichlich was aufs Maul davon zu überzeugen ihnen ihr Grundstück zu verkaufen.« Er schüttelte den Kopf.
»Da komme ich ehrlich nicht mehr mit, Paul.«
Lenz stierte auf einen imaginären Punkt an der Wand.
»Scheinbar hängt alles mit allem irgendwie zusammen, Thilo. Ich habe noch keine Ahnung, wie. Mal angenommen, Goldberg war im Besitz von irgendetwas, das sein Mörder, also vielleicht Patzke, haben will. Nachdem er ihn umgebracht hat, durchsucht er seine Wohnung, findet jedoch das Gesuchte nicht. Um sicherzugehen, dass es auch kein anderer findet, zündet er kurzerhand das ganze Haus an. Auch eine Methode, Beweismittel zu vernichten, allerdings nur, wenn sie brennen. Deswegen gehen wir mal von Papier aus.«
»Denkbar, aber nicht sicher, du Technikfeind«, gab Hain zu bedenken. »Es könnte eine Diskette oder ein anderer Datenträger sein.«
»Stimmt. Was mir dennoch überhaupt nicht in den Kopf will, ist der Aufwand, mit dem der gute Frommert ins Jenseits befördert werden sollte. Patzke, oder wer auch immer es gewesen ist, hat doch schon bewiesen, dass er vor Mord nicht zurückschreckt. Wozu also der ganze Aufwand? Warum sollte es unbedingt wie ein Unfall aussehen?«
Hain zuckte mit den Schultern.
»Ein Mord an einem IHK-Mitarbeiter kann Zufall sein, zwei Morde deuten darauf hin, dass es etwas mit ihrem Job zu tun hat.«
»Es wäre eine Erklärung. Wenn ich das, was ich bis jetzt über Patzke weiß, richtig einschätze, ist es ein paar Schuhnummern zu groß für ihn. Dann fällt er als Täter aus.«
»Und wenn die eine Sache doch nichts mit der anderen zu tun hat?«
Lenz betrachtete seinen Kollegen mit einer Mischung aus Skepsis und Unverständnis.
»Das glaubst du doch selbst nicht …?«
Weiter kam der Hauptkommissar nicht, weil in diesem Moment sein Mobiltelefon klingelte. Er sah sich schuldbewusst um, doch es gab niemanden, der ihn deswegen mit bösen Blicken bedachte, also nahm er das Gespräch an und hörte 20 Sekunden zu. Dann sagte er nur kurz ›wir sind unterwegs‹, und steckte das Telefon zurück.
»Patzke ist aufgetaucht.«
Über Hains Gesicht huschte ein zufriedenes Lächeln.
»Geil! Von alleine?«
»Sozusagen, ja.«
12
Die beiden Kommissare parkten an der gleichen Stelle wie 37 Stunden zuvor, mussten sich jedoch einen anderen Weg durch das schneebedeckte Unterholz suchen, weil der Sturm der vergangenen Nacht eine Menge Bäume entwurzelt hatte, die nun kreuz und quer im Wald lagen. Bald hatten sie die kleine Lichtung erreicht, wo Rolf-Werner Gecks bereits auf sie wartete und zwei Techniker dabei waren, einen Lichtmast zu installieren. Neben einem umgestürzten Baum, dessen aus dem Boden gerissenes Wurzelwerk ein großes Loch hinterlassen hatte, standen ein paar Uniformierte und sahen den in weißen Overalls steckenden Spurensicherern bei der Arbeit zu, die mit ihren Mundschutzmasken wie Wesen aus einer anderen Welt wirkten.
»Schöne Scheiße!«, sagte ihr Kollege zur Begrüßung.
»Das kannst du laut sagen«, antwortete Lenz. »Wenn er es denn wirklich sein sollte.«
Gecks reichte dem Hauptkommissar einen Klarsichtbeutel.
»Er ist es, mitsamt Personalausweis und Führerschein. Sein Mörder hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihm die Brieftasche abzunehmen.«
»Erschossen?«, fragte Lenz knapp.
»Ja. Einen in die Brust, einen in den Kopf, aus nächster Nähe vermutlich, aber nicht aufgesetzt. Es hat ihm den halben Schädel weggerissen.«
Er drehte sich um und bedeutete Lenz und Hain, ihm zu folgen.
»Schaut’s euch halt an, obwohl es wirklich kein schöner Anblick ist.«
Damit lag er richtig. Patzkes Leiche sah schrecklich aus, nicht nur wegen des deformierten und teilweise fehlenden Schädels, sondern auch, weil sich schon Tiere an dem Leichnam bedient hatten.
»Das waren
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