Kammerflimmern

von der ... aktiveren Sorte, wenn du verstehst. Der ein wenig ... groben Sorte. Kapiert?«
    Vivian kapierte rein gar nichts. »Aber wie hast du dieses ganze Geld verdienen können, wenn du sagst, dass fast alles fällt und ...«
    »Hör mal«, sagte er, zog eine Serviette vom Tresen und einen Kugelschreiber aus der Jackentasche. »Ich habe geshortet. Und jetzt werde ich dir erklären, wie das geht. Komm ein bisschen näher.«
    Der Lärmpegel in der überfüllten Kneipe war so hoch, dass er ihr bei seinen Erklärungen ab und zu den Mund ans Ohr halten musste. »Ich mache das schon seit vielen Jahren«, sagte er. »Und auch wenn ich mich einige Male blamiert habe, so habe ich doch noch ein paar Kontakte. Und die werden nur zu gern für mich tätig.«
    Er zeichnete eine Zeitlinie auf die Serviette. »Das ist heute Morgen um neun«, sagte er und setzte ein kleines Kreuz an das linke Ende des Strichs. »So ungefähr. Zu diesem Zeitpunkt habe ich den Tipp bekommen, dass Mercury Medical, eine Gigafirma, die Medizin und so was herstellt, in Schwierigkeiten steckt. Ein Gerücht, nichts weiter. Ich habe mich aufs Telefon gestürzt ...«
    Er packte sein Mobiltelefon und tat mit gewaltigen Gesten, als gäbe er eine Nummer ein.
    Dann hielt er es sich ans Ohr. »Hallo, Gary!«, sagte er in das tote Telefon. »Alter Kumpel. Ich möchte Mercury-Medical-Aktien shorten. Das arrangierst du für mich, ja? In zehn Minuten? Tausend Dank. Und jetzt hör zu ...«
    Eifrig steckte er das Telefon wieder in seine Brusttasche und griff zum Kugelschreiber. »Bei Shorting beleihe ich die Aktien von anderen. Als Dank für die Leihgabe bezahle ich ihnen zum Beispiel 2,5 Prozent des Aktienwertes. Das bedeutet, dass ich 12 500 Pfund blechen muss, um Aktien im Wert von 500 000 Pfund zu leihen. Verstehst du?«
    Vivians Augen waren blank und groß. »Du hast Aktien von anderen geliehen«, sagte sie langsam. »Aber warum verleihen die ihre Aktien?«
    »Ich habe doch gesagt, dass ich sie dafür bezahle. Und sie bekommen sie garantiert zum abgemachten Zeitpunkt zurück. Deshalb konnte ich nicht alles Geld einsetzen, was ich hatte, fast 150 000 Pfund. Ich muss doch eine Garantie dafür liefern, dass ich die entsprechende Menge Aktien zurückkaufen könnte, wenn sie bis zum Ende der Leihfrist gestiegen wären.«
    »Kaufen?«
    Vivians Augen wurden immer größer. »Du hast sie doch nur geliehen. Warum musst du sie denn dann kaufen?«
    Audun seufzte und tippte mit der Spitze des Kugelschreibers auf das Kreuz auf der Zeitlinie. »Hier leihe ich die Aktien«, sagte er. »Und dann verkaufe ich sie sofort. Ich habe 500 000 Pfund dafür bekommen. Hast du das so weit verstanden?«
    »Wie kannst du etwas verkaufen, was dir gar nicht gehört?«
    »Weil ich morgen vor elf Uhr genau dieselbe Anzahl Aktien zurückkaufe, damit ich sie zurückgeben kann«, rief er begeistert und zeichnete ein riesiges Kreuz an das rechte Ende der Zeitlinie. »Dann kosten sie viel weniger! Wenn der Kursverfall so verläuft, wie alle Analytiker vorhersagen, wird der Preis der Aktie zu diesem Zeitpunkt um 20 Prozent gefallen sein. Mindestens! Vielleicht mehr. 20 Prozent von 500 000 Pfund – das sind 100 000 Pfund. Wenn ich davon abziehe, was ich für die geliehenen Aktien bezahlt habe, bleiben 87 500 Pfund. Die habe ich an einem Tag verdient. Wenn ich das Geld dazuzähle, das ich in der vergangenen Woche verdient habe, dann bin ich am Ziel, Vivian! Ich habe einiges über zwei Millionen norwegische Kronen und kann nach Hause fahren!«
    Ihre Augen liefen über, und sie fuhr sich rasch mit dem Handrücken über die Wange.
    Er griff nach ihrer Hand: »Kommst du mit, Vivian?«
    »Kann ich denn einfach mitfahren? Braucht man da nicht ... einen Job und so was? Eine Aufenthaltsgenehmigung?«
    »Hast du vom Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum gehört?«
    Er hielt ihr Gesicht jetzt in den Händen und küsste sie auf die Nase.
    »Nein«, sagte sie zögernd.
    »Das macht nichts«, sagte er lächelnd. »Das macht rein gar nichts. Komm, ich will gehen.«
    Sie nahm seine Hand und hielt sie fest, während sie sich einen Weg aus der überfüllten Kneipe bahnten. Schweigend gingen sie zurück zum Hotel. Er legte den Arm fest um ihre Schultern, sie konzentrierte sich darauf, auf ihren neuen hochhackigen Sandalen zu gehen, die sie sich lange gewünscht und die Audun an diesem Nachmittag gekauft hatte.
    »Vielleicht kommen wir rechtzeitig zur Beerdigung deines Vaters«, sagte