Kammerflimmern
sie erwachte, wusste sie nicht gleich, wo sie war. Sie fror und fragte sich, warum sie keine Bettdecke hatte.
Das schwache Summen des Telefons unten im Haus ließ sie auffahren und auf die Uhr schauen. Sie sah, dass sie kaum eine halbe Stunde geschlafen hatte.
Der Festanschluss klingelte sonst nie.
Wenn jemand sie erreichen wollte, dann versuchte er es per Mobilfunk.
Der einzige Grund, aus dem Sara und Thea noch einen Festanschluss hatten, dessen Nummer sie sich nie merken konnten, war, dass der im Preis des Breitbandlieferanten inbegriffen war.
Jemand rief ihren Festnetzanschluss an, noch dazu mitten in der Nacht.
Sara warf die Decke beiseite und schlich aus dem Zimmer. Das Klingeln wurde immer lauter, als sie barfuß die Treppe hinunterlief, und sie war fast atemlos, als sie das Telefon aus dem Ladegerät auf der Fensterbank riss, auf das grüne Symbol drückte und in den Hörer keuchte: »Hallo!«
»Oh, hello! My name is Catherine Adams and I’m calling from New York. I’m trying to reach Doctor Zuckerman. Sara Zuckerman. Is this the correct number?«
»Das bin ich. Ist Ihnen klar, wie spät es ist?«
»Sie sind ein gutes Stück vor uns, das weiß ich, aber ... tut mir leid ... Ist es zu spät?«
»Es ist mitten in der Nacht. Worum geht es?«
Sara setzte sich resigniert auf einen Küchenstuhl.
»Es geht um ...«
Am anderen Ende der Leitung wurde es ganz still, aber Sara hörte die Frau atmen. Ihre Angst aus dem Moment, als sie erwacht war, schlug jetzt in Irritation um.
»Spreche ich mit Sara Zuckerman, die heute von CNN interviewt worden ist? Der Kardiologin, die ...«
»Ja, habe ich doch gesagt. Worum geht es?«
»Es geht ... Ich weiß nicht so recht, wie ich das sagen soll, aber mein Mann, mein verstorbener Mann, Peter ... Peter Adams ... er ... er hat bei Mercury Medical gearbeitet.«
»Ach?«
»Als Leiter von R & D Software. Das bedeutet ...«
Wieder wurde es still. Sara ging zum Küchenschrank, sie nahm ein Glas heraus und ließ das Wasser laufen, damit es abkühlte.
»Er war vor seinem Tod soeben befördert worden. Zum stellvertretenden Geschäftsführer. Unter Otto Schultz, wenn Ihnen der Name etwas sagt, er ist ...«
»Ich weiß, wer Otto Schultz ist«, fiel Sara ihr ins Wort und füllte das Glas.
»Ich habe Sie heute im Fernsehen gesehen, und da fiel mir ein ... Es tut mir wirklich leid, Sie zu stören. Ich wusste einfach nicht, wen ich ...«
»Ist schon gut. Ich bin Ärztin. Bin daran gewöhnt, geweckt zu werden. Und da ich nun wach bin, können Sie auch gleich erzählen, warum Sie anrufen.«
»Danke. Ich ... habe also diese Reportage gesehen. Und sofort musste ich an den Abend denken, an dem Peter gestorben ist.«
Ein schriller Pfeifton, wie von einem Wasserkessel, ertönte in der Leitung.
»Nur einen Moment.«
Sara hörte Klappern und ein Klicken, dann war Catherine wieder da. »Es ist ziemlich genau vier Jahre her. Ich war frisch operiert und bei meinen Eltern auf dem Land. Peter wollte eigentlich an jenem Abend noch herauskommen. Aber dann rief er an und sagte, er sei zu müde, um zu fahren. Er hatte an irgendeinem ... Fehler gearbeitet, das hat er wohl gesagt, ich kann mich an den genauen Wortlaut nicht erinnern, an einem von diesen ... Geräten, wenn ich das so nennen kann?«
»Ja«, antwortete Sara und trank einen Schluck Wasser, ehe sie hinzufügte: »Aber da gibt es sehr viele. Mercury Medical stellt eine Menge her. ICDs zum Beispiel.«
»Ich hatte den Eindruck, dass er an die achtundvierzig Stunden wach gewesen war. Danach hatte er ein längeres Gespräch mit Otto Schultz, erzählte er, und er wirkte so ...«
Sara fühlte sich seltsam wach. Angst und Verärgerung machten der Neugier Platz.
»Er wirkte so resigniert«, sagte Catherine Adams. »Ich habe damals nicht so genau darauf geachtet, und dann ist er ja gestorben, in derselben Nacht, und es war ...«
»Woran ist er gestorben?«
»Er wurde im Central Park überfallen.«
»Von wem?«
»Der Fall ist nie aufgeklärt worden. Die Polizei hielt es für einen Raubmord, aber er hatte kein Geld bei sich, und seine Armbanduhr war noch immer ...«
»Er war mitten in der Nacht im Central Park?«
»Ja. Ich begreife nicht, warum. Er ist dort jeden dritten Tag gelaufen, aber weil ich so ängstlich war, hat er das immer vor halb zehn gemacht. Aber er wurde mitten in der Nacht umgebracht. Ich habe nie verstanden, warum ...«
Catherine Adams holte tief Luft, ein Keuchen, das in leises Weinen
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