Kammerflimmern
Catherine Adams. »Eine Stunde ist mehr als genug. Tausend Dank. Bis morgen dann.«
»Bis morgen.«
Das Gespräch war beendet.
Der Bildschirm zeigte noch immer einen Artikel über Peter Adams’ trauriges Ende. Sara las ihn langsam. Der Nachruf konnte wie immer nur Gutes über den Verstorbenen berichten und war deshalb ziemlich unbrauchbar als Grundlage für einen Eindruck davon, wer er eigentlich gewesen war.
Das ist aber auch nicht nötig, dachte Sara und loggte sich aus.
Sie wusste, dass es ihn gegeben hatte und dass Catherine Adams’ Geschichte zutreffen konnte. Vielleicht war sie sogar wichtig.
Wenn ich jetzt nur schlafen könnte, dachte sie resigniert und ging wieder nach oben, um sich das Glas mit den Eiswürfeln zu holen.
Sie war durstig, verschwitzt und hellwach.
12.00 Uhr
Mercury Medical Zentrale für Nordeuropa und Norwegen, Sandakerveien, Oslo
Die Techniker auf beiden Seiten des Atlantiks hatten nur eine halbe Stunde gebraucht, um die gesperrte Verbindung einzurichten. Inzwischen hatte Morten Mundal in der Kantine ein Baguette mit Käse und Schinken verzehrt, wenn auch nur mit einiger Überwindung. Das zähe Weißbrot quoll in seinem Mund auf, und der Käse war fett und geschmacklos. Der ziehende Schmerz unter dem Brustbein hatte ein wenig nachgelassen, als er sich jetzt hinter den Schreibtisch setzte und Otto Schultz anstarrte.
Das Gesicht des anderen füllte fast den ganzen Bildschirm. »Morten«, brüllte er und klopfte leicht auf das Mikrofon, das vor ihm stand. »Hörst du mich?«
»Loud and clear.«
»Weitere sechs Prozent an der LSE gefallen.«
»Das sehe ich«, Morten nickte. »Aber der Absturz ist in der vergangenen Stunde abgeflacht. Das ist immerhin etwas.«
»Nicht genug«, sagte Otto Schultz und rückte dichter an die Kamera heran. »Was macht ihr da drüben, um die Sache zu klären?«
»Ich war in Kontakt mit der Polizei«, sagte Morten und versuchte, dem Blick des anderen standzuhalten. »Habe eine halbe Stunde mit ihnen gesprochen und werde morgen zu einer offiziellen Vernehmung hingehen. Sie haben die Ermittlungen aufgenommen. Die Programmiermaschine wird untersucht, und sie haben Fachleute hinzugezogen, also ...«
»Ohne die Kryptierungen kommen sie nicht weit«, fiel Otto Schultz ihm ins Wort. »Und die kriegen sie nicht. Ich hoffe, du hast ihnen zu verstehen gegeben, dass wir nie im Leben die Maschinencodes hergeben werden.«
»Natürlich. Es ist aber trotzdem so, dass ...«
»Diese Menschen im Groos, oder wie dieses Krankenhaus heißt, hast du von denen etwas erfahren?«
»Es ist sehr begrenzt, mit wem ich sprechen kann, jetzt, wo in der Sache ermittelt wird. Es würde einen sehr schlechten Eindruck machen, wenn ...«
»Schlechten Eindruck? Ich kann dir sagen, was einen fucking schlechten Eindruck macht, Morten! Und zwar, dass die gesamte R & D Software in Manhattan sich den Arsch abschuftet, während du in deinem verdammten Büro keinen Finger rührst. Während die Aktien fallen und ...«
Er holte Luft und fuhr sich mit beiden Händen über den kurz geschorenen Schädel. Auch wenn das Bild in der gesicherten Leitung unscharf war, konnte Morten sehen, wie mitgenommen Otto wirkte. Sein Gesicht, sonst der Inbegriff kantiger Maskulinität, hatte etwas Aufgedunsenes.
Morten merkte plötzlich, dass er sich geirrt hatte.
Seit er eines Septemberabends im Jahre 2008 die Wahrheit über die Niederlage seines Vaters im Kampf um Mercury Medical erfahren hatte, war er der Meinung, Otto Schultz zu hassen. Er wollte hassen, er musste hassen, er hatte sich alle Mühe gegeben, den autoritären Mann zu hassen, der den Konzern mit eiserner Faust regierte. Jetzt aber empfand er vor allem Verachtung, nicht einmal Angst, nur eine tiefe und befreiende Verachtung.
Sogar Suzanne hatte Otto Schultz den Rücken gekehrt. Sie hatte ihr Glück bei einem Kunstmaler gefunden, das wussten alle, auch wenn Otto lange versucht hatte, die Schande zu vertuschen.
Der Kampf zwischen Otto und John war ein redlicher Krieg zwischen zwei ebenbürtigen Männern gewesen, das hatte Morten immer geglaubt, und sein Vater hatte verloren. Dass ein Job für Morten Bestandteil des Friedensvertrags war, empfand er nicht als erniedrigend. Apollo Med-Elec, auf der Mercury Medicals Elektronikabteilung beruhte, war ja von Anfang an ein Mundal-Projekt gewesen. Morten war ein Mundal, er war über zwanzig Jahre jünger als der Superstier, und mit harter Arbeit und klarer Positionierung konnte er an dem Tag,
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