Kammerflimmern
an dem der Alte das Ruder aus der Hand gab, sehr gute Karten haben.
Dann war der Brief seines Vaters gekommen und hatte alles geändert.
John Mundal hatte die neu gegründete Mercury Medical mit viel Geld verlassen. Morten hatte nie verstanden, warum seine Eltern nur acht Wochen nach Johns Ausscheiden aus der Firma auseinandergegangen waren. Weder Rebecca noch John hatten seine Fragen beantworten wollen, und als seine Mutter zu gleicher Zeit und absolut überraschend ihre angesehene Stellung am Presbyterian aufgab, war Morten bereits dabei, europäische Unterabteilungen von Mercury Medical aufzubauen. Er wollte beweisen, dass er der Herausforderung gewachsen war, und kam nur selten nach Hause.
Als sein Vater am 1. September 2008, nachdem er alles verloren hatte, Selbstmord beging, hinterließ er einen Brief an seinen einzigen Sohn.
Der Brief war kurz, banal, egozentrisch und melodramatisch.
Dennoch hatte der Brief ihn fast zerstört.
Der Vater bereute, schrieb er, nicht mehr Zeit für seinen Sohn gehabt zu haben. John Mundal bat seinen Sohn um Vergebung für alle falschen Entscheidungen. Dafür, dass er Mortens Erbe auf dem Finanzmarkt verspielt hatte, dafür, dass er Rebecca im Stich gelassen hatte, als sie ihn am allermeisten gebraucht hatte. Morten solle verstehen, bat er, dass der Schock über Rebeccas Suchtverhalten noch schlimmer gewesen sei als die lähmende Niederlage gegen Otto Schultz.
Als Morten Mundal den Selbstmordbrief seines Vaters las, erfuhr er endlich, warum die Mutter so plötzlich im Krankenhaus aufgehört hatte.
An allem war Otto schuld.
»Du wirkst so nachdenklich«, sagte Otto.
»Diese Situation lädt ja auch zum Nachdenken ein«, erwiderte Morten.
»Diese Situation lädt zum Handeln ein. Und genau danach frage ich! Ich habe die gesamte R & D Software in Gang gesetzt, um überall nach Notizen, alten Dateien, veralteter Software zu suchen, wo ein Virus sich versteckt haben kann ...«
Er beugte sich noch weiter vor: »Hier zu Hause wird jeder Stein umgedreht, aber was tust du?«
»Was ich kann«, sagte Morten gelassen. »Was ich im Rahmen der norwegischen Gesetze tun kann. Ich habe ein Medienberatungsbüro engagiert und war erreichbar für alle, die ...«
»Medienberatung? Medienberatung? «
Otto Schultz schien kurz vor einem Infarkt zu stehen. Sein Gesicht war knallrot, und der Schweiß ließ seine Oberlippe glänzen.
Ohne Kontrolle war er nicht mehr derselbe.
Sondern ein ganz anderer.
Deshalb hatte Morten sich dazu verleiten lassen, ihm die E-Mail zu schicken, die viele Stunden vor dessen Tod Erik Berntsens Ende mitgeteilt hatte. Es war unüberlegt gewesen, eine impulsive Handlung, als er kurz zu einer Besprechung im schwedischen Handelsministerium in Stockholm gewesen war und am Abend ein Bier zu viel getrunken hatte. Die Vorstellung, was eine solche anonyme Mitteilung bei Otto anrichten, wie sie ihn quälen und zu Untersuchungen zwingen würde, ohne dass er je herausfinden würde, woher die Mail kam, war ganz einfach unwiderstehlich gewesen.
»Wir müssen das Virus finden«, schrie Otto Schultz. »Statt unsere Zeit mit Medienberatern zu vergeuden. Was macht ihr, um das Virus zu finden?«
»Was wir nur können«, sagte Morten ruhig. »Absolut alles, was wir können.«
Das Virus war wie ein Geschenk gekommen.
Morten wusste nicht, von wem; der knappe Brief, der dem USB-Stick beigelegen hatte, war anonym. Als er eines späten Abends im Labor den spärlichen Anweisungen im Brief gefolgt war, hatte er immerhin begriffen, dass die von jemandem stammen mussten, der es auf Otto abgesehen hatte.
Von jemandem, der Otto Schultz erledigen wollte.
Davon gab es viele, das wusste Morten Mundal, aber dieser hier hatte endlich ein Mittel gefunden.
Es musste ein Insider sein.
Jedenfalls einer, der Insider gewesen war.
»Was denn?«, stöhnte Otto und hob ein Glas Wasser, ohne zu trinken. »Was zum Teufel tust du, um die Virusquelle zu finden?«
»Wir gehen alles durch. Alle Loggs. Alle Programmiermaschinen. Alles, was wir an Ausrüstung haben. Wir haben der Polizei unsere Mitwirkung angeboten, aber die ...«
Der Blackberry vibrierte sanft.
Mit der Hand außerhalb des Kamerawinkels öffnete er die SMS.
»Flower«, stand dort.
Er löschte die Mitteilung.
Er wollte ja gar nicht steinreich werden. Er wollte nur genug, um nach Hause zu fahren und einen neuen Anfang zu machen. Zusammen mit seiner Mutter. Er wollte nach Hause fahren und sich um Rebecca Mundal kümmern, wie sein
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