Kammerflimmern
wagte, auf weiteres Wachstum zu setzen. Nach diesem Geschäftsabschluss hielten etliche Analytiker es für gerechtfertigt, Otto Schultz zum Genie auszurufen.
Der Prozess in Norwegen war langwierig und verworren gewesen. Das reiche kleine Land leistete sich einen Entscheidungsprozess, über den er nur den Kopf schütteln konnte. Demokratie war gut und schön. Er hatte selbst neun Monate seines Lebens im vietnamesischen Dschungel geopfert, um die freie Welt zu verteidigen. Aber es musste doch Grenzen geben. Der geheime Bericht des »Staatlichen Pensionsfonds – Strategische Platzierungen« – Otto Schultz konnte den norwegischen Namen fast akzentfrei aussprechen – lag im Juni 2009 vor. Ein Komitee aus Vertretern der Bank von Norwegen, des norwegischen Finanzministeriums, zwei britischen und einer afrikanischen Finanzverwaltungsgesellschaft und drei Theoretikern mit Professuren an allen möglichen Universitäten hatten fünf Firmen als mögliche Investitionsobjekte ausgesucht. Mercury Medical hatte auf Platz 1 gestanden. Für Otto Schultz war es selbstverständlich gewesen, dass die CEOs der Pan-American Energy Group und des Middle-East Clean Water, die beiden nächsten Firmen auf der Liste, sich die geheime Darlegung besorgt hatten. Er staunte, als sich später herausstellte, dass er als Einziger über ausreichend gute Kontakte verfügte, um sich Einblick in den Entscheidungsprozess zu verschaffen.
Sie waren schon komisch, wenn es um Politik ging, diese Norweger, aber andererseits wurden sie dadurch zu guten Eignern. Es gab auf der ganzen Welt kaum ein stabileres Land, weder politisch noch wirtschaftlich gesehen.
Ein reiches, ruhiges, sattes Land.
Perfekt.
An Pensionsfonds als Eigentümer war Otto Schultz gewöhnt. Noch bevor der Staat sich bei Mercury Medical eingekauft hatte, gehörten fast zwanzig Prozent aller Aktien privaten Fonds in den USA, Deutschland und Großbritannien. Ruhige, auf lange Sicht planende Eigner, die für Leitung und Verwaltung keinerlei Probleme machten. Nach dem norwegischen Aufkauf blieben an die fünfzehn Prozent der Aktien in den Händen von Kleininvestoren. Otto Schultz war über Nacht um zwei Millionen Dollar reicher geworden.
Wenn Mercury Medical sein Lebenswerk war, so kam seine Familie doch an zweiter Stelle. Er leitete sie bis ins Kleinste, und zwar in dem Rahmen, den er bei seiner Hochzeit im Alter von fünfundzwanzig Jahren festgelegt hatte. Die Kinder kamen pünktlich zur Welt, plus minus vierzehn Tage. Das Erste wurde geboren, als Otto und Suzanne in kleinen Verhältnissen in Chicago lebten. William, der Jüngste, wurde 1985 geboren, als Otto seinen ersten großen Erfolg im Beruf gelandet hatte: Apollo Med-Elec war nach nur acht Jahren unter den ersten fünf Firmen im Bereich medizinischer Elektronik. 2001 wurden Apollo Med-Elec und Gemini Pharmacy zusammengelegt, und Otto Schultz kam eines späten Abends nach Hause und hatte für die ganze Familie eine Reise nach Aruba gebucht. Dass seine Tochter drei Tage später in einem Off-Broadway-Stück ihren ersten Auftritt haben sollte, spielte keine Rolle. Jetzt müsse gefeiert werden, erklärte Otto. Zusammen.
Alle fuhren nach Aruba, wie er es beschlossen hatte.
Es wurde ein phantastischer Urlaub, wie er es beschlossen hatte.
Als seine Frau vor knapp zwei Jahren ohne Vorwarnung erklärt hatte, sie habe einen anderen, hatte er zuerst gelacht. Es war einfach nicht zu glauben. Sie waren seit dem College zusammen, und Otto Schultz besaß im Privatleben denselben eisernen Willen wie im Geschäft: Er hatte sie nie betrogen.
Jedenfalls nicht nennenswert.
Sie hatte doch alles.
Drei Kinder, einen einigermaßen treuen Mann und Finanzverhältnisse, von denen die meisten nicht einmal träumen konnten.
Wohnung in der Fifth Avenue. Haus auf Long Island. Nein, Palast auf Long Island. Dazu Ferienhäuser auf Martha’s Vineyard, in Colorado und auf den Anhöhen oberhalb von Villefranche-sur-Mer an der Riviera.
Er hatte ihr alles gegeben, und dann tauchte sie an ihrem sechzigsten Geburtstag auf und behauptete, die Liebe gefunden zu haben, bei einem sechs Jahre jüngeren Mann, der sich als Kunstmaler nur mit Mühe über Wasser hielt.
Suzanne wollte die Scheidung.
Die Niederlage, wegen eines jämmerlichen Hungerleiders verlassen zu werden, war umso schlimmer, als die Kinder ihre Mutter offenbar verstehen konnten. Sie hatten sich mit dem alternden Hippie angefreundet.
Die sonntäglichen Essen, zu denen Otto Schultz noch immer
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