Kammerflimmern
sein wollte.«
Sara deutete ein Lächeln an und erhob sich. »Das Komische an dir ist, dass du es immer nur schaffst, dir selbst vors Schienbein zu treten, Lars.«
In der nun folgenden Stille schlug Ola die Augen nieder.
Sara nahm ihre Ordner und klemmte sie sich unter den Arm.
Dann nickte sie Petter Bråten und Ola Farmen zu, ein unmissverständliches Kommando, ihr zu folgen, als sie auf die Tür zuging.
»Einen schönen Tag noch«, hörte Ola von Dr. Benjaminsens Tischende, als er sich gehorsam erhob. »Falls es noch niemand bemerkt haben sollte, draußen ist Sommer.«
9.17 Uhr
Dæhlivannet, Bærumsmarka bei Oslo
Ein Mann stand versteckt hinter einer Tanne und wartete.
Er war außer Atem, obwohl er nicht weit und auch nicht sonderlich schnell gerannt war, aber Spannung und Angst, entdeckt zu werden, hatten ihn sehr mitgenommen.
Um diese Zeit an einem normalen Alltag war auf den Wanderwegen in Bærumsmarka zum Glück nicht viel los. Wer frei hatte, war lieber ans Meer gefahren, dachte er. Die Mütze hatte er in die Stirn gezogen, obwohl es unangenehm warm war. Den Kragen hatte er hochgeklappt.
Die beiden Männer, die fünfzig Meter weiter auf dem Weg standen, stritten sich jetzt. Der Jüngere fuchtelte heftig mit den Armen. Der Mann hinter der Tanne hatte keine Ahnung, wer es war.
Das war aber auch nicht wichtig.
Er hatte mehr als genug damit zu tun, sich auf die überraschende Wendung einzustellen, die die Sache genommen hatte. Während er zweimal besonders tief Luft holte, um wieder zu Atem zu kommen, merkte er, dass er verängstigter war, als ihm guttat. Das war nicht das, wozu er sich bereit erklärt hatte. Er kam sich vor wie ein Mitwirkender in einem zweitklassigen Film, und er wäre zu gern zum Auto zurückgegangen, um zur Arbeit zu fahren und die ganze Angelegenheit zu vergessen.
Er konnte nicht vergessen. Vergessen war unmöglich; er steckte so tief darin, dass es keinen Weg zurück gab.
Und da war noch das mit dem Geld.
Er brauchte das Geld.
Worüber die beiden Männer sprachen, konnte er nicht verstehen. Das Rauschen der Baumwipfel über ihnen war zu stark. Er fischte sein auf lautlos gestelltes Telefon aus der Tasche. Niemand hatte angerufen. Als er die Uhrzeit sah, machte sein Herz einen doppelten Schlag, und er starrte aus zusammengekniffenen Lidern die beiden Männer an.
Der Ältere fiel um.
Er fiel ziemlich langsam um. Er riss die Augen auf und öffnete den Mund, dann sank er in sich zusammen, als wäre das Leben plötzlich aus ihm herausgeströmt.
Was ja auch der Fall war.
Der jüngere Mann bewegte sich nicht, war erstarrt zu einer dramatischen Geste, den einen Arm ausgestreckt, den Zeigefinger der anderen Hand auf die Stelle gerichtet, wo eben noch der alte Mann gestanden hatte.
Der Mann im Versteck hielt den Atem an. Obwohl er gewusst hatte, was passieren würde, war ihm abwechselnd heiß und kalt. Er schluckte mehrere Male und hatte dabei das Gefühl, dass seine Zunge in seiner trockenen Mundhöhle anschwoll.
Der jüngere Mann machte jetzt einen hilflosen Wiederbelebungsversuch. Er saß rittlings auf dem Toten und legte bei Weitem nicht genug Kraft in die Herzmassage. Nach etwa einer Minute gab er auf.
Jetzt weinte er und griff sich an den Kopf. Plötzlich sah er sich verzweifelt nach allen Seiten um. Offenbar entdeckte er dabei niemanden, denn nun packte er mit resolutem Griff den Toten unter den Armen und zog ihn zwischen einige hohe Birken mit lichtgrünen Wipfeln. Der Mann im Versteck konnte nun keinen von beiden mehr sehen. Er widerstand der Versuchung, sich anzuschleichen, und blieb bewegungslos stehen.
Er hörte nur den Gesang der Vögel und das Rauschen des Windes. Es roch nach Frühling, feuchtem Boden und vermodertem Laub vom Vorjahr. Wieder sah er sein Telefon an, als ob es ihm erzählen könnte, was jetzt zu tun war.
Plötzlich brach der jüngere Mann aus dem Unterholz. Er blieb einige Sekunden lang auf dem Weg stehen und schaute sich nach rechts und links um, dann rannte er den Weg hinunter.
Auf den anderen zu.
So leise er konnte, ging der drei Schritte zurück und in die Hocke. Vermutlich war das nicht nötig, denn der junge Mann stürzte in purem Entsetzen den Weg hinunter und verschwand.
Das Telefon vibrierte leise in der Hand des Mannes, der sich im Gebüsch versteckte. Er hob das Telefon und öffnete die SMS.
Wenn alles geht wie erwartet, tu, was du zu tun hast. Die Leiche MUSS schnell gefunden werden. Der ICD MUSS MUSS MUSS zu SZ gelangen. Tu
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