Kammerflimmern
MEDICAL, MERCURY DEIMOS, Produzent und Produktname, gefolgt von der vierstelligen Seriennummer. Alle Blätter enthielten unterschiedliche Informationen, über den technischen Zustand des ICD, über seine Programmierung und über die Herzfunktion des Patienten. Die fünf letzten Blätter bildeten eine zusammenhängende EKG-Kurve.
Das Einzige, was diesen Ausdruck von den zahllosen Ausdrucken unterschied, die Sara im Laufe der Jahre durchgesehen hatte, war das Feld für Namen und Personenkennnummer des Patienten.
Dort hätte stehen müssen: Berntsen Erik 0 30 54 04 60 73.
Stattdessen war jedes einzelne der elf länglichen Karos gefüllt mit zwei kurzen Wörtern, mit großen Buchstaben und fetter Schrift.
FUCK YOU, stand dort.
FUCK YOU FUCK YOU, elfmal hintereinander.
Donnerstag, 4. Mai 2006
11.23 a.m.
Mercury Medical Zentrale, Manhattan, NYC
Es kam noch immer vor, dass Peter Adams an David Crow dachte. Vor allem dann, wenn die Welt gegen ihn zu sein schien. Catherine und er hatten sich Kinder gewünscht, aber jetzt war es einwandfrei zu spät. Er sprach nie darüber, ertappte sich aber dabei, dass er Kinder im Central Park mit einer dumpfen Sehnsucht ansah, zu der er sich nicht ganz zu bekennen wagte. Ab und zu belastete das Alter ihn auch rein physisch, er konnte nicht mehr so schnell und so lange laufen, und bei den Trainingsrunden im Studio taten ihm die Knie weh. Da Peter Adams früh gelernt hatte, die Güter zu zählen, die ihm zuteilgeworden waren, und nicht die, die er verloren hatte, ließ der Gedanke an David Crow ihn immer noch zusammenzucken.
Er war vierundfünfzig Jahre alt, gesund und wohlhabend.
Er war seit über vierzehn Jahren verheiratet.
David Crow war erst dreiundzwanzig Jahre alt und hatte alles weggeworfen. Das schmächtige rotzarrogante Genie, das vier Jahre zuvor mit einem Scheck über schnöde hunderttausend Dollar das Gebäude von Mercury Medical verlassen hatte, war nur drei Tage später bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen. Aus purer Neugier und vielleicht aus einem gewissen Mitgefühl heraus hatte Peter Adams Untersuchungen über den Todesfall angestellt.
David hatte sich nach Florida abgesetzt.
Dort hatte er zwei Damen, die nur beim Preis strenge Maßstäbe anlegten, und ein Schnellboot gemietet, mit dem er nicht umgehen konnte. Unmittelbar vor dem Bug eines Kreuzfahrtschiffes hatte er bei fast fünfzig Knoten ein halsbrecherisches Manöver hingelegt. Das Boot überschlug sich, und Davids Leiche wurde mit gebrochenem Hals und einem deftigen Drogencocktail im Blut von einer vorüberkommenden Jacht aus dem Wasser gefischt. Die beiden Damen hatten alles überlebt.
Jetzt stand Peter Adams vor seinem deckenhohen Bücherregal und dachte wieder über David Crow nach. Als 2002 die Security den gesamten Inhalt von Davids Büro geprüft hatte, waren zwei Ordner übrig geblieben, von denen sie meinte, dass Peter einen Blick hineinwerfen sollte. Sein erster Impuls war gewesen, beide zu vernichten. Stattdessen hatte er sie in sein eigenes Büro gestellt. Er würde sie sich bei passender Gelegenheit genauer ansehen.
Aber die passende Gelegenheit hatte sich nicht ergeben.
Die Ordner waren einfach stehen geblieben, im untersten Regalfach hinter der Tür an der Wand.
Die von David Crow hinterlassene Lücke zu füllen hatte sich als unmöglich erwiesen. In jedem Jahrhundert kommt nur eine Handvoll David Crows auf die Welt. Aber Mercury Medical hatte dennoch aufs Beste überlebt. Ein Genie im Stab zu haben war ein Vorteil gewesen, aber es war keine Voraussetzung für die Entwicklung der vielen komplizierten Programme. Als Mercury immer größer, reicher und stärker wurde, wuchs auch die Attraktivität der konzerneigenen Forschungsabteilung bei den besten Leuten der Branche.
Peter Adams war weiter aufgestiegen.
Als stellvertretender Konzernchef sollte er nun auch in ein neues und größeres Büro im zweitobersten Stock ziehen. Sein Gehalt würde um fünfundvierzig Prozent steigen, und das Optionspaket, das mit dem neuen Posten einherging, würde es ihm und Catherine in ein oder zwei Jahren erlauben, das Weingut in Frankreich zu kaufen, von dem Catherine schon so lange träumte.
In Verbindung mit der Beförderung hatte Otto Schultz eine Reise auf die Bahamas spendiert. Ferien, hatte er befohlen. Gerade jetzt hatten weder Peter noch Catherine große Lust auf eine solche Reise, aber was Otto Schultz entschied, wurde genau so ausgeführt. Die Koffer standen bereit, und Peter
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