Kammerflimmern
Mülleimer bei der Tür und schob den ICD hinein. Er hatte schon von Ärzten gehört, deren unachtsamer Umgang mit explantierten ICDs zu heftigen Überraschungen in Form von Stromstößen geführt hatte.
Warum spazierte die Abteilungsoberärztin Sara Zuckerman mit einem ICD in der Tasche durch das GRUS?
Als er den Herzstarter hob, als könnten die Antworten auf seine Frage in die Stahllegierung eingraviert sein, merkte er, wie sein Puls schneller wurde.
Er sah kleine Reste von etwas, was Blut sein konnte, und ihm wäre der ICD fast aus der Hand gefallen.
Die Demomodelle waren immer makellos. Die unbenutzten waren immer steril. Vorsichtig griff er den kleinen Apparat mit dem linken Daumen und dem Zeigefinger und hielt ihn ins Licht.
Dieser ICD war schmutzig, das sah er sogar durch das Latex.
Er war benutzt, ganz einfach.
Er hatte in Saras Tasche einen ICD gefunden, der offenbar in einen menschlichen Körper implantiert gewesen und wieder herausgenommen worden war.
Ola Farmens Mutter hatte ihrem Sohn als Kind mit allen Mitteln klargemacht, dass man nicht die Briefe, Schubladen oder Taschen anderer Menschen zu öffnen hat. Der Knabe war extrem neugierig gewesen. Er hörte alles, fasste alles an, fragte nach allem. Knallharte Maßnahmen vonseiten seiner Eltern hatten ihm dann doch gute Manieren beigebracht.
Ungewöhnlich neugierig war er allerdings noch immer.
Er blieb mit dem Apparat in der Hand stehen.
Sicher gab es eine logische Erklärung. Wenn ein Patient mit implantiertem ICD starb, galt der kleine Computer als Sondermüll. Einen Herzstarter aus einem Leichnam zu entfernen war allerdings eine Aufgabe für einen Assistenzarzt und nicht für eine Professorin. Wenn sie aber dennoch einen solchen Eingriff vorgenommen hätte, würde sie doch nie im Leben mit einem ICD in der Tasche durch die Gegend laufen.
Das war unbegreiflich.
Von wem zum Teufel stammte der ICD?
Er könnte natürlich anrufen und fragen.
Nein.
Es konnte auch ein makabrer Scherz sein. Ola selbst hätte vielleicht keinen Schock erlitten, aber er wäre jedenfalls zusammengefahren, wenn er die Hand in die Tasche gesteckt und einen verschmutzten ICD herausgezogen hätte. Auch wenn Sara sich wohl schwerer umwerfen ließ, so ging er doch davon aus, dass sie nicht gerade begeistert sein würde.
Er merkte, dass er zögerte, als er langsam die freie Hand in seine eigene rechte Kitteltasche schob: mit steifen Fingern. Als sie auf das kalte Metall seines Mobiltelefons stießen, erstarrte er.
»Idiot«, murmelte er und nahm das Telefon heraus.
Eine SMS würde Sara vielleicht nicht stören. Es stand ja nicht einmal fest, dass ihr Mobiltelefon eingeschaltet war. Er ließ die Finger über die Tasten huschen. Wollte Funkm holen. Fand ICD in deiner Tasche.
Er starrte den Text einen kurzen Moment an, ehe er hinzufügte: Der scheint einem Patienten entnommen zu sein, ruf an, wenn du kannst.
Sein Daumen drückte die Sende-Taste.
Er konnte nicht einmal Saras weitere Taschen untersuchen, um den Funkmelder zu finden, als es schon klingelte. Das Display zeigte »Sara Z«, und er nahm das Gespräch an.
»Ja«, sagt er vorsichtig.
»Was soll das heißen, zum Teufel?«
»Was?«
»Was hast du gefunden, sagst du?«
Noch immer kam er sich vor wie ein Eindringling. Trotzdem ging er zu ihrem Sessel. »Ich wollte deinen Funkmelder suchen, wie du mich gebeten hattest«, sagte er und setzte sich. »Aber in deiner Tasche habe ich einen ICD gefunden. Der ist schmutzig. Blut, wie es aussieht.«
»Einen ICD? In meiner Tasche?«
»Ja!«
»Wie ist er dahin gekommen?«
»Woher soll ich das wissen?«
»In meinem Kittel? Der in meinem Büro hinter der Tür hängt? Machst du Witze?«
»Ich bin jetzt hier, Sara, und vor mir liegt ein ICD.«
Es wurde still.
»Lies die Daten ab«, sagte sie plötzlich und kurz. »Mach einen Ausdruck, und ruf mich an, wenn deine Nachtwache zu Ende ist.«
»Okay. Wird gemacht.«
»Danke.«
Sie brach das Gespräch ab. Ola ließ sich vorsichtig zurücksinken, als wäre er nicht sicher, ob die Stuhllehne sein Gewicht aushalten würde. Guro wäre bestimmt sauer, wenn er nach Dienstschluss nicht sofort nach Hause käme. Sie war zwar auf dem Weg der Besserung, aber als er sie nachmittags angerufen hatte, ging es den Zwillingen schlecht, und sie kotzten wie die Reiher.
Ola hätte am liebsten die Augen geschlossen und eine Weile geschlafen.
Aber er stand auf, sprach ein Stoßgebet und beschloss, den ICD bei der erstbesten Gelegenheit
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