Kammerflimmern
ihnen geworden, der verdienstvollen Professorin und dem fast zehn Jahre jüngeren Vater von fünf Kindern, der nie so recht gelernt hatte, erst zu denken und dann zu reden. Sara fragte und bekam Antworten, mehr als genug sogar; Ola fragte und erhielt Andeutungen, die das Bild eines Lebens zeichneten, über das er gern mehr gewusst hätte. Als fachliche Mentorin war sie unübertroffen. Als Chefin war sie streng und bisweilen ungerecht. Wenn sie einander in der Freizeit trafen, fand er sie warm, charmant und offen, aber immer hatte er das Gefühl, ein wenig an der Nase herumgeführt worden zu sein, wenn der Abend zu Ende war.
Es war, als ob Sara sich selbst inszenierte.
Sie hat etwas Wachsames, meinte Guro, eine Reserviertheit, die im Gegensatz steht zu ihrem amerikanischen Auftreten mit dem strahlenden Lächeln und den freundlichen Worten. Vielleicht hat sie ein gut verborgenes Problem damit, sich anderen Menschen anzuschließen.
Aber dann war da die Sache mit Thea.
Wenn es um Thea ging, war Sara immer ungeheuer offen.
Ola fragte sich, ob die Geschichte mit Thea dazu geführt hatte, dass er Sara Zuckerman sofort lieb gewonnen hatte. Er spezialisierte sich damals auf Innere Medizin und arbeitete im Rikshospital, wo Gerüchte über Sara kursierten.
Es ging um einen Autounfall, um ein Mädchen, das zur Waise geworden war, und um Sara, die nur wenige Stunden später die Cleveland Clinic verlassen hatte, um sich um das Kind zu kümmern. Eines Tages klopfte er gegen Mittag an ihre Bürotür und stellte sich vor. Offenbar war er der Erste, der sie offen fragte, warum eine Kapazität wie sie alles hingeworfen hatte, um für ihre Nichte da zu sein. Zumal das Kind jede Menge Verwandtschaft mütterlicherseits hatte.
Sara hatte gelächelt und ihn freundlich zurechtgewiesen. Professorin an einem Universitätskrankenhaus in Norwegens Hauptstadt zu werden bedeutete kaum, alles hinzuwerfen. Danach lud sie ihn zum Essen ein und verpasste ihm eine Lektion in Ethik und philosophischen Betrachtungen über Pflicht, von der ihm schwindlig wurde.
Und die ihn leicht verliebt machte.
Die Verliebtheit ging vorüber.
Die Bewunderung legte sich nie, und er liebte ihr kleines schweigendes Abkommen, dass er gern fragen durfte, dass es aber nur eine Antwort gab, wenn Sara in der passenden Stimmung war.
Das war nur so selten der Fall, dass es ihn fast umwarf, als sie in vier kurzen Sätzen ihre Beziehung zu Gott und dem Judentum erläuterte.
»Ach«, sagte er. »Na dann. Alles klar.«
»Und da der Sabbat in einer knappen Stunde beginnt, lege ich jetzt auf. Ich habe Challoth im Ofen.«
Er konnte hören, dass sie lächelte.
»Bis dann«, sagte er. »Ich kümmere mich um den Funkmelder. Und vielen Dank für ...«
»Gute Wache«, fiel sie ihm ins Wort und legte auf.
20.27 Uhr
GRUS, Bærum
Als Ola Farmen den Code an Sara Zuckermans Bürotür eingab, fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut. Alle Angestellten sollten aus Sicherheitsgründen jede Woche den Code wechseln. Sara hatte ihm ihre Kombination vor mehr als einem halben Jahr gegeben, und sie funktionierte noch, also hielt sie sich nicht an die Vorschriften. Ola ging nur auf ausdrücklichen Befehl allein in ihr Büro, aber er kam sich dennoch wie ein Dieb vor, als er das leise Summen und das Klicken hörte, mit dem das Schloss aufsprang. Rasch sah er sich nach beiden Seiten um, dann drückte er auf die Klinke und öffnete.
Flüchtig nahm er Saras Duft wahr.
Das Licht schaltete sich automatisch ein und wurde von Bewegungssensoren gelenkt. Auf diese Weise wurden im Jahr einige Tausender an Strom gespart. Das Krankenhaus war an eine riesige Erdwärmeanlage angeschlossen, auf den flachen Dächern waren die Solarzellen in die Architektur integriert und versorgten das Krankenhaus mit heißem Wasser und immer neuen Umweltpreisen. Dass die Ersparnisse erst in einem halben Jahrhundert zum Tragen kämen, wurde nicht so häufig erwähnt.
Das Büro, im Gegensatz zu Olas eigenem, war so ordentlich wie immer. Der riesige Schreibtisch war übersichtlich und sorgfältig geordnet.
Kein Funkmelder.
An einem Haken hing der weiße Kittel. Die Hand in Saras Tasche zu schieben kam ihm geradezu verbrecherisch vor, und er zögerte, ehe er angesichts seiner eigenen Hilflosigkeit den Kopf schüttelte und ihrem Wunsch nachkam.
Ein ICD, dachte er und starrte den kleinen Herzstarter an, den er für den Funkmelder gehalten hatte.
Aus einem Reflex heraus nahm er einen Latexhandschuh aus dem
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