Kammerflimmern
erinnerte.
Jetzt dachte der König nach.
Ein schwacher Duft nach Zimt und Zitronen hing im Raum. Rasierwasser, vermutete Peter, Otto war direkt aus dem Fitnessstudio zur Besprechung gekommen. So sah er nicht mehr aus, er schien nicht einmal mehr zu atmen.
Ein eskalierendes Rotorendröhnen verriet, dass ein Hubschrauber sich näherte. Am Ende war es so laut, noch durch die dicken Fensterscheiben, dass der Hubschrauber offenbar auf dem Dach von Mercury Medical landete.
»Wer weiß von diesem Programm?«, fragte Otto schließlich halb erstickt hinter seinen Pranken.
»David Crow jedenfalls nicht. Der ist einige Tage nach seinem Rausschmiss ums Leben gekommen. Das Problem ist natürlich, dass wir keine Ahnung haben, ob er es weitergereicht hat. Wenn wir wüssten, dass es keine Kopien gibt, könnten wir den Dreck einfach löschen, und die Sache wäre erledigt. Aber das wissen wir nun einmal nicht.«
»Vier Jahre«, sagte Otto Schultz und ließ sich im Sessel schwer zurücksinken. »In vier Jahren haben wir keinen einzigen Bericht über Ereignisse erhalten, die auch nur annähernd dieser ... dieser teuflischen Software zugeschrieben werden können.«
»Nein, aber ...«
»Ist es nicht höchst unwahrscheinlich, dass es Kopien gibt? Nach allem, was du erzählt hast, hatte David Crow keine Freunde. Wir sind auch nicht erpresst worden, nichts ist passiert. Und ganze vier Jahre sind vergangen.«
»Trotzdem müssen wir ...«
»Wo ist das Programm jetzt?«
»Da«, sagte Peter und nickte zu dem roten Ordner hinüber, den er auf Ottos Schreibtisch gelegt hatte.
»Der Stick?«
Peter zögerte einen Moment zu lange, ehe er die Hand in die Tasche steckte. Otto hob in einer vage drohenden Geste die Schultern.
»Hier«, sagte Peter rasch und reichte ihm den kleinen Stab.
Otto streckte ihm die Hand mit der Handfläche nach oben entgegen. Das Gefühl, ein Schuljunge zu sein, war direkt quälend, als Peter abermals aufstehen, die drei Schritte machen und das Datenzäpfchen in die viel größere Hand legen musste.
»Der kommt in den Safe«, sagte Otto Schultz. »Es ist Freitag und geht auf den Abend. Ich will zum Wochenendhaus. Morgen erledige ich zwei Anrufe.«
»Zwei Anrufe? Aber wir müssen ...«
»Das hier ist vier Jahre lang sehr gut gelaufen«, wiederholte Otto, als wären diese vier glücklichen Jahre zum Mantra geworden. »Es wird auch noch zwei Tage gut gehen. Du hast ja recht, wir müssen etwas unternehmen. Aber wir dürfen nichts übereilen. Das hier wird uns verdammt viel kosten, und ich will nachdenken. Halt die Klappe, genieß das Wochenende, und wir sehen uns am Montagmorgen wieder.«
Peter starrte zu Boden. Irgendwie hatte Otto recht, etwas musste geschehen, aber nicht in dieser Sekunde. Er war so müde nach sechsunddreißig wachen Stunden, dass er nicht mehr klar denken konnte.
»Montagmorgen«, murmelte er als eine Art Zustimmung.
»Montagmorgen um acht Uhr.«
»Ja.«
»Dann geh nach Hause, und schlaf dich aus.«
»Ja.«
»Geht es Catherine gut?«
»Ja. Die Operation hat ihr zu schaffen gemacht, wie gesagt, aber den Umständen gemäß geht es ihr gut.«
»Und euch beiden?«
»Auch gut. Catherine ist bei ihren Eltern, und ich wollte eigentlich heute hinfahren. Aber jetzt drei Stunden hinter dem Steuer wären wohl kaum zu verantworten. Ich warte lieber bis morgen.«
»Das klingt vernünftig«, sagte Otto Schultz lächelnd und wies gebieterisch mit der Hand auf die solide Tür aus geschnitzter Eiche.
»Pass auf dich auf.«
»Du auch.«
»Und, Peter?«
»Ja?«
Er war halbwegs bis zur Tür gekommen, als er sich umdrehte.
»Danke, dass du sofort zu mir gekommen bist.«
Peter nickte kurz und ging weiter.
Als die Tür hinter ihm zufiel und er versuchte, seine Augen an das gedämpfte Licht zu gewöhnen, wusste er nicht, dass er Otto Schultz zum letzten Mal gesehen hatte.
Als er viele Stunden später durch den Central Park joggte, um sich von der Unruhe zu befreien, die ihn stundenlang im Bett wach gehalten hatte, konnte er seinem Chef doch noch einen letzten Gedanken senden. Der 5. Mai war vor fünfzehn Minuten in den 6. übergegangen. Als der Schlag seinen Hinterkopf traf, vor einer Ulme, an der er normalerweise anhielt, um Dehnübungen einzuschieben, dachte er zum allerletzten Mal an Otto Schultz. Etwas muss geschehen, hatte der Mann gesagt.
Sonntag, 9. Mai 2010
9.10 Uhr
Gjettumkollen, Bærum
Sara verstand nicht, wie man in einem solchen Chaos leben konnte. Sie war schon oft bei
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